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Der Schneider himmlischer Hosen

Der Schneider himmlischer Hosen

Titel: Der Schneider himmlischer Hosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniele Varè
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Der erste trug das Datum 20. Juni 1917 und lautete:
     
    «Onkel Podger und ich sind nun fast eine Woche hier, und es geht uns herrlich. Herrlicher Strand, schöne Wälder und Berge im Hintergrund; vor uns erhebt sich aus dem Meer die Große Mauer, sie kreuzt die Ebene und klettert dann in die Berge hinauf. Diesseits der Mauer liegt China, jenseits — nördlich — die Mandschurei. Onkel Podger hat in der Mandschurei eine Freundin. Sie ist schwarzweiß und gehört einer japanischen Familie, deren Bungalow gerade außerhalb der Mauer liegt.
    Alles hat hier seinen eigenen Bungalow. So nennt man sie, aber einige darunter sind richtige, schöne Häuser. Dasjenige, das Patuschka gemietet hat, liegt in der ; nicht ganz an der Küste, aber trotzdem hübsch. Lauter Schlafzimmer. Doch wir schlafen alle auf der Veranda. (Hab keine Angst! Ich ziehe jeden Abend den Pyjama an.)
    Die Saison hat noch kaum begonnen, und auf der Strecke gibt’s Unruhen, wie immer in China. Daher sind die meisten Bungalows leer. Aber der Ort ist voller Italiener, die in den Wäldern um das italienische Fort kampieren. Stell dir vor: Landsleute in Shan-hai-kwan! Es müssen an fünfhundert sein — sogenannte Irredenti. Sie stammen aus Trient, Triest und Zara. Zuerst zerbrach ich mir den Kopf, woher sie kommen und was sie hier machen. Aber sie haben es mir erklärt: sie sind österreichische Untertanen italienischer Nationalität. Bei Ausbruch des Krieges mußten sie zur österreichischen Armee einrücken und wurden an die russische Front geschickt. Doch sie wollten nicht gegen Verbündete kämpfen und ließen sich daher von Brussilow gefangennehmen. Ursprünglich sollten sie von Archangelsk übers Meer nach Hause geschickt werden. Aber in Rußland geht es drunter und drüber, und so hat man sie — ich weiß nicht recht, warum — via Sibirien in den Fernen Osten geschafft. Nicht alle sind hier. Viele befinden sich in Wladiwostok, in Tientsin, ja sogar in Peking. Sie warten auf ein Schiff, das sie nach Italien bringt.
    Meine Russen sind schrecklich aufgeregt, weil die Leute Nachrichten von daheim bringen. Und das Komische ist, daß die Italiener es mit Rußland ganz toll treiben. Sie erzählen, daß man dort lebt wie im Himmel. Obwohl Krieg ist, will ein jeder das Leben genießen, — die Leute dort sind anscheinend ganz verrückt geworden. Ungefähr so wie meine Russen, nur in größerem Maßstabe.
    Die Irredenti können gar nicht alles beantworten, was Patuschka, Matuschka und Fjodor fragen. Aber vielleicht deshalb, weil ich dolmetschen muß und die Italiener lieber von sich selbst erzählen. Der Stoff geht ihnen nicht aus, und ich glaube, sie alle haben in Rußland eine Menge Liebesabenteuer erlebt. Ein junger Bursch berichtete mir, er sei dreimal von Wologda nach Moskau gefahren, nur um ein Mädchen wiederzusehen. Er besaß weder eine Fahrkarte noch Geld. Aber er erzählte allen Leuten, er gehöre zur italienischen Mission, und zeigte ihnen eine Ansichtskarte aus Fermo in den Marken, woher er stammt. Die Karte trug einen großen offiziellen Stempel, und das interessierte die Leute derart, daß mein Freund gratis fahren durfte und dabei noch zu essen bekam, soviel er wollte. Kein Wunder, daß er Rußland fabelhaft findet!
    Alles behauptet, die Februarrevolution sei nur ein Anfang gewesen. Demnächst soll wieder eine Revolution kommen, und dann wird der Teufel los sein. Fjodor ist deswegen fürchterlich aufgeregt. Er behauptet, daß man zuerst einmal alles nationalisieren wird, Fabriken, Geschäfte, Lebensmittel und sogar Frauen! Aber nach den Erzählungen der Irredenti zu schließen, geht es auch so bei den Frauen drunter und drüber.
    Paul hat mir einigemal geschrieben. Er ist in Tientsin. Der Abt hat ihn dort aufgesucht, und die beiden haben sich wegen der Träume geeinigt. Wenn sie gut ausfallen, wird Paul dem Abt zum Wiederaufbau des mongolischen Klosters Geld zur Verfügung stellen. Und das alles für einen Traum, in dem ich vorkomme! Es klingt zu phantastisch, um wahr zu sein. Ich würde es auch nicht glauben, wäre ich nicht dabei gewesen, als der Abt Paul träumen Heß. Paul tut mir noch immer schrecklich leid, aber ich zerbreche mir nicht mehr den Kopf über das, was ich zu tun habe. Wenn er von mir träumen kann und darin sein Glück findet, so ist das schließlich die Hauptsache.
    Ehsalex ist noch in Peking. Sie will angeblich nicht herunterkommen, Ich verstehe nicht, warum. Was mag sie in Peking zu tun haben? In

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