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Der Schneider himmlischer Hosen

Der Schneider himmlischer Hosen

Titel: Der Schneider himmlischer Hosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniele Varè
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Pauls Tisch und ging dann nochmals auf mein Zimmer, um den tags zuvor erstandenen Elfenbeinkäfig zu holen. Von den mir anvertrauten tausend Dollar hatte ich sechshundert ausgegeben.
    Paul betrachtete die Neuerwerbung mit Interesse. Es war ein schöner Vogelkäfig aus prachtvollem altem Elfenbein, Futter- und Wasserschälchen hatten keinerlei Verzierung, aber die Tür des Käfigs war in Form zweier auseinandergleitender Tore gearbeitet, die sich in der Mitte trafen, beim Verschluß der Querbalken. Sie wiesen winzige Schnitzereien auf, die bei den Völkern Ostasiens so beliebt sind.
    «Diese Doppeltore», sagte Paul und schob sie mit den Fingern auf und zu, «gemahnen an die geminae somni portae der Äneis: an die Tore des Schlafs, die aus Horn und Elfenbein bestehen.»
    «Sie erinnern mich daran, lieber Freund, daß auch ich klassische Bildung genossen habe. Et ego in Arcadia vixi. Wenn ich mich nicht irre, kommen die Wahrträume aus dem hörnernen und die trügerischen Träume aus dem elfenbeinernen Tor. Findet sich nicht in der Odyssee Ähnliches?»
    «Jawohl. Dort heißen die Doppeltore: Tore der Träume.»
    Einige Sekunden lang blieb er still, in Gedanken versunken, bis ich fragte, woran er denke. Er fuhr auf, wie aus einem Tagtraum aufgeschreckt, obgleich die Terrasse des Astor House für Träume nicht gerade der richtige Ort ist.
    «Ich dachte daran», sagte er, «daß es fast schon ein Gemeinplatz ist, zu behaupten, jeder Mensch habe mehr als eine Persönlichkeit. Wir alle bemühen uns, dem bewußten, denkenden Ich unsres Alltags zu entfliehen. Nicht einmal Sie sind eins und unteilbar. Denn Sie sind nicht nur Sie, sondern auch ein Schneider himmlischer Hosen.»
    Ich griff den Einfall auf und erwiderte: «Allerdings. Und ich ziehe die himmlischen Hosen an, wenn ich in mein Arbeitszimmer gehe, um die Leute zu treffen, von denen ich in meinen Geschichten erzähle. So tat auch Machiavelli. Wenn er an seinem Geschichtswerk arbeitete, entzündete er die Kerzen und legte sein schönstes Samtgewand an, um die Großen der Vergangenheit würdig zu empfangen.»
    Paul lächelte und ergänzte:
    «Wir alle haben etwas, das uns von uns selbst befreit. Ich habe von nun an einen Elfenbeinkäfig.»
    «Was wollen Sie damit sagen?»
    «Ich will damit, sagen, daß ich die Träume habe, die mir der Abt schenkt, und dank ihnen ein zweites Leben. Um mit Baudelaire Zu sprechen:
    «Aber warum nennen Sie das Elfenbeinkäfig?»
    « Weil ich in meinem zweiten Leben von der Wirklichkeit unabhängig bin. Durch die Elfenbeintore meines Käfigs kommen Träume, die niemals wahr werden.»
    «Wann träumen Sie? Ist der Abt hier?»
    «Nein. In Peking. Aber in wenigen Tagen fahre ich zurück. Ich habe den Palast des Herzogs gemietet, und dort finden unsere Séancen statt. Ich kenne die Asiaten kaum und hätte es nie für möglich gehalten, daß ein Mensch so sein kann wie der Abt. In mancher Beziehung ist er, wohl kaum mehr menschlich. Gibt es in China viele seinesgleichen?»
    «Ich habe nur einen Menschen kennengelernt, der entfernt an den Abt erinnerte: das war ein Schauspieler von der Truppe, die im Sommerpalast für die alte Kaiserin Tzu-hsi spielte. Er vergoldete sich das Gesicht und stellte Buddha dar, in einem Stück namens Tien Nu San Hua — das heißt: Die Himmelsgöttin verteilt Blumen. Er war schlank wie der Abt und ungewöhnlich schön. Und seltsamerweise stammte auch er aus dem fernen Norden, von jenseits des Amur.»
    «Das ist doch kaum mehr China.»
    «Heute wohl nicht, obzwar es einst zum Reich der Mitte gehörte. Wenn man vom Osten spricht, denkt man nur selten daran, daß es Völker des Ostens gibt, die in der Arktis leben, das Nordlicht sehen und ihre Reisen mit Hilfe des Rentiers zurücklegen. Der Abt ist kein reiner Mongole. Es klingt sonderbar, aber ich hätte ihn eher für einen Tung-hudze gehalten, von denen anscheinend sein Kloster zerstört wurde.»
    «Wissen denn die nördlichen Stämme etwas von Hypnose?»
    «Weit mehr als wir, obwohl sie es nennen. Der Schamanismus — so heißt ihre Religion — beruht auf Hypnose. Ihre Priester vermögen unglaubliche autohypnotische Phänomene hervorzubringen. Ich erinnere mich, daß mir ein deutscher Arzt erzählte, die Priester der Tungusen könnten, wenn sie nur unsere Sprache sprächen, in Europa durch die Heilung nervöser Leiden ein Vermögen verdienen.»
    «Das sollte man dem Abt Vorschlägen. Er kann Französisch.»
    «Seine

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