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Der Schneider himmlischer Hosen

Der Schneider himmlischer Hosen

Titel: Der Schneider himmlischer Hosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniele Varè
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magnetischen Kräfte müssen ganz ungewöhnlich sein. Hat Ihnen Kuniang erzählt, wie er die Schmetterlinge rief?»
    «Ja. Ich glaube, daß er auch Vögel rufen kann. Aber weit sonderbarer ist es, was für ein Leben er mich träumen läßt. Man sollte meinen, er täte sein möglichstes, um dieses Traumdasein so angenehm wie nur möglich zu gestalten. Weit gefehlt. Das Leben, das er mich leben läßt, ist von ganz unerwarteter Realistik, und ich muß Gutes und Böses nehmen, wie es kommt. Vorläufig bin ich in meinen Träumen erst sechzehn Jahre alt. Und alles eher als das, was ich in wachen Stunden einen sympathischen Jungen nennen würde. Ich habe bereits zwei Kinder gezeugt. Ich lebe mit meinen Eltern am Rand der Wüste. Dort gibt es Schafherden, einige wenige Pferde und zahllose Kamele. Die Kamelkarawanen schaffen Wolle und Pelze nach China und Tee nach Rußland. Ich habe viele Reisen mit. ihnen gemacht und Hunger und Durst gelitten. Einmal war ich monatelang krank, nach einem Kamelbiß. Ich habe bisher überhaupt nicht gewußt, daß Kamele beißen können. Vielleicht beißen sie in Wirklichkeit auch gar nicht.»
    «O ja. Aber sehr selten. Doch dann kann der Biß gefährlich werden. Sie drehen die Zähne seitwärts und verursachen furchtbare Wunden.»
    «Das habe ich auch erfahren — oder vielmehr der Abt hat es mich gelehrt. Aber welch seltsames Thema für einen Traum! Werth die Seele des Künstlers sich in seinem Werk spiegelt, dann hat der Abt eine bemerkenswerte Seele.»
    «Ich habe noch nie einen Traum als Kunstwerk betrachtet.»
    «Ich auch nicht. Doch wie soll man ihn sonst nennen? Es ist kein wirkliches Leben, was mir der Abt schenkt. Das kann mir der Schöpfer. Aber wird uns nicht auch unser wirkliches Leben wie ein Märchen Vorkommen, wenn wir vom Jenseits darauf zurückblicken?»
    Ich fand keine Antwort und widmete mich einige Sekunden lang dem Speck und den Eiern. Schließlich sagte ich:
    «Ihr Traum scheint wenig faszinierend zu sein. Nicht so wie Klingsors Zaubergarten. Besteht er nur aus nüchternem Realismus? Nicht auch aus Schönheit?»
    «Das einsame Leben in der Steppe hat etwas ungemein Faszinierendes. Den Menschen, die dieses Leben führen, erscheint die Berührung mit anderen Völkern als Gefahr, als Gift, das sie krank machen kann. Es ist, als lebten wir Mongolen (ich spreche von mir, als wäre ich Mongolei) auf einem andern Stern. - Wir sind von der Welt abgeschnitten und primitiver, als Worte beschreiben können. Wir sind Diebe, unwissend und abergläubisch. Unsere Hütten sind ständig von beizendem Rauch brennenden Kameldungs erfüllt. Unsere Eßmanieren würden Sie krank machen, vor allem, wenn wir aus einer gemeinsamen Schüssel Rahm essen, ohne Löffel, nur mit unseren schmierigen Händen. Unser größter Leckerbissen ist Ziegeltee, in dem Klumpen ranziger Butter schwimmen. Aber Sie sollten unsere Reiterei sehen, wenn sie ausschwärmt, um den Morgen zu begrüßen, und das Gold ihrer spitzen Kappen das erste Licht des Tages auffängt! So ritten unsere Kriegshelden aus, um Asien zu unterwerfen, als die Welt noch jung war! Wir fühlen uns als bevorrechtetes Volk, als die Erwählten Gottes. Das stammt noch aus der Zeit, da der ganze Norden des Kontinents unser eigen war, von der Wolga bis zum Gelben Fluß. Vielleicht ist auch die Luft der Steppe an eisigen Morgen mit schuld an diesem Gefühl. So, stelle ich mir vor, muß die Luft im Paradies sein. In dieser reinen Luft sind Menschen und Tiere unermüdlich. Wir ziehen umher mit unseren Herden, wenn das Gras knapp wird, und es gibt keine Marksteine, keine Grenzen. Nur im Nordwesten habe ich im Sand eine Furche gesehen, von einem Baumstamm, den man über den Boden geschleppt hat. Diese Furche ist die Grenze Rußlands. Es gibt keine Marksteine außer vereinzelten Grabmälern auf den größeren Hügeln. Und die Spuren tierischen Lebens sind selten und weit voneinander entfernt, den Maßen dieser riesigen Prärie entsprechend: kleine Ratten laufen herum wie Hasen im Gehege, Antilopenherden wandern, Kamelkarawanen ziehen vorbei. Unsere Filzjurten werden von wilden Hunden bewacht, und das Vieh liegt daneben und käut wieder. Wilde Ponys wachsen in Freiheit auf, aber nie verlassen sie die Brunnen.»
    Pauls Stimme, als er die Heimat seiner Träume beschrieb, bekam einen Klang, der mich an die Stimme Signor Cantes erinnerte, wenn er vom Leben am Gelben Fluß erzählte. Wieder fand ich das Locken der Unendlichkeit, den Zauber endloser Horizonte,

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