Der Schneider himmlischer Hosen
Ehrfurcht vor den Toten, die mich in diesen ersten Tagen daran hinderte, mit Kuniang über unsere Hochzeit zu sprechen. Ich wäre auch nicht ungeduldig geworden, hätte sie für einige Zeit unser früheres gemeinsames Leben weder aufgenommen. Aber das wollte sie nicht. Sie tobte über die Schranken, die uns trennten, vor allem über die Schranken der Konvention. Sie wollte mich abends um keinen Preis verlassen, und fast jeden Morgen fand ich sie beim Erwachen neben meinem Bett. Unter diesen Umständen erschien es mir als das Gegebene, den fröhlichen alten Pater, der der italienischen Gesandtschaft als Kaplan zugeteilt war, zu bitten, er möge uns trauen. Aber auch davon wollte sie nichts wissen.
Natürlich hatte die doppelte Katastrophe, die so jäh über Kuniang hereinbrach, ihr Gemüt schwer erschüttert. Daß keiner der beiden Todesfälle — nicht einmal der Tod des Vaters — völlig unerwartet kam, verminderte nicht den Schock, um so weniger, als sich das Ganze zu einer Zeit zutrug, da Kuniangs Nerven durch das seltsame und schmerzliche Erlebnis von Pauls Traum besonders mitgenommen waren. Aber die plötzliche und überraschende Weigerung, sich trauen zu lassen, erschien mir sonderbar und unnatürlich. Anfangs kannte ich mich überhaupt nicht aus. Ich fragte Kuniang, ob sie mich nicht mehr lieb habe.
«Selbstverständlich liebe ich dich, aber ich will nicht heiraten. Eine grauenhafte Vorstellung: heiraten! Gerade das richtige für die braven, ehrsamen Mädchen in Europa und Amerika, die einen haben, auf den sie achten müssen, und eine Familie, die sie behütet. Aber mich kümmert das nicht. Ich habe nie jemandem wirklich gehört. Nur ich kann mich verschenken. Ein Priester hat dabei nichts zu tun. Ich möchte so gern ohne ihn auskommen.»
«Aber ich kann dich doch nicht einfach nehmen, ohne dich zu heiraten! Die Schwierigkeiten hätten kein Ende. Wie könnten wir miteinander reisen, wenn wir nicht Mann und Frau sind! Und was soll mit den Kindern sein — wenn wir welche kriegen?»
«Darüber wollen wir nachdenken, wenn sie kommen. Und zerbrich dir nicht den Kopf darüber, was du tun kannst und was nicht. Schließlich bist nicht du es, der ohne Heirat auskommen will, sondern es verhält sich umgekehrt.»
«Mir scheint, Kuniang, bei dir verhält sich immer alles umgekehrt!»
Eine so seltsame Ansicht war unmöglich das Ergebnis von Prinzipien, viel eher eine Sache der Nerven. Und darum hielt ich es für aussichtslos, Kuniang durch vernünftiges Zureden umzustimmen.
Eines Abends überraschte sie mich dabei, als ich mich eben mit diesem verwickelten Problem herumschlug und ein einschlägiges Werk studierte. Nachdem sie einige Zeilen über frühkindliche Bindungen gelesen hatte, fragte sie, wovon das Buch handle.
«Von dir», erwiderte ich.
«Bestimmt? Der Inhalt hat aber sehr wenig Ähnlichkeit mit
mir.»
«Ich will damit sagen, daß dein Gemüt meiner Meinung nach irgendeinmal eine Wunde bekommen haben muß; und nun versuche ich, ihre Diagnose zu stellen. Aber was ich hier finde, sind nur seitenlange Abhandlungen über verdrängte Wünsche.»
«Sie haben mir oft genug zu schaffen gegeben!»
«Soo?»
«Jawohl.»
«Über dieses Thema wirst du wohl kaum mit mir sprechen wollen?»
«Ach wo. Wenn es dich interessiert... Das war nämlich damals, als ich Fjodor so schwer bändigen konnte. Zwei- bis dreimal im Tag mußte ich seine Wünsche verdrängen. Er wollte immer...»
«Aber darum handelt es sich ja gar nicht. Zumindest nicht gerade darum.»
«Worum denn?»
«Die Verdrängung eigener Wünsche ist es, die zuweilen verschiedene Arten von Gemütserkrankungen nach sich zieht, oder die Nachwirkung eines Ereignisses, das an deinem Denken frißt. Deine fixe Idee, nicht heiraten zu wollen, trotzdem du mich liebst, ist der typische Fall einer Phobie. Diese krankhafte Furcht muß einen Grund haben, und die Gründe, die du mir angibst, befriedigen mich nicht. Dein Gemüt hat einen Knoten bekommen, der aufgemacht werden muß; und ich versuche nun, herauszufinden, was das sein kann.»
Kuniang schwieg ein Weilchen, dann sagte sie: «Ich glaube, jetzt verstehe ich dich.»
«Kannst du mir nicht dabei helfen?»
Sie seufzte und erklärte erschöpft: «Es ist richtig: ich habe qualvolle Erinnerungen an eine Hochzeit.»
«Wessen Hochzeit?»
«Meine eigene.»
«Du lieber Gott! Du wirst doch nicht behaupten, daß du schon verheiratet warst!»
Kuniang lachte. «Wie erschrocken du dreinsiehst. Natürlich war
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