Der Schneider himmlischer Hosen
ich nicht wirklich verheiratet. Aber erinnerst du dich an Pauls Traum, an den allerletzten Traum, als ich zu ihm lief, um ihn zu stützen?» ;
«Gewiß. Ich hatte den Eindruck, daß auch du ein paar Sekunden lang unter hypnotischem Einfluß standest. Dieser Einfluß muß ungewöhnlich stark gewesen sein, daß er dich derart festhalten konnte.»
«Du hast gesagt, daß es nur wenige Sekunden waren. Aber in diesen wenigen Sekunden wurde ich getraut. Beim bloßen Denken daran wird mir übel.»
«Was war denn so schrecklich dabei?»
«Das weiß ich nicht. Das gehört ja mit zu dem Grauen... daß ich es nicht weiß.»
«Mit wem wurdest du getraut?»
«Kuniang sollte getraut werden, aber ich war nicht Kuniang. Ich glaube, daß ich einen kurzen Augenblick lang Pauls Ich teilte. Er und ich empfanden dasselbe und sahen dieselbe Umgebung, dieselben Menschen. Ich erlebte die Empfindungen des Bräutigams. Ich hielt Kuniangs Hand und wollte ihr eben den Ring anstecken.»
«Das muß ein verzwicktes Gefühl sein, sich selbst zu heiraten!»
«Allerdings. Es ist nicht leicht, davon zu sprechen und es klar: auszudrücken. Aber in einem gewissen Sinn läuft es doch auf dasselbe hinaus: denn ich, der Bräutigam, imd Kuniang, die Braut, empfanden das gleiche. Wir liebten uns nämlich sehr, weißt du.»
«Das klingt ganz vernünftig.»
«Nein. Das macht die Sache nur ärger. Tausendmal ärger. Denn deshalb, weil ich sie so liebte, war das, was dann geschah, für uns beide so schrecklich.»
«Was geschah denn dann?»
«Das weiß ich eben nicht!»
Kuniang und ich blickten einander verblüfft an. Es sah nicht so aus, als ob wir der Lösung des Knotens, der ihr Gemüt beschwerte, nähergekommen wären.
«Kannst du mir die Szene beschreiben?» fragte ich.
«Beschreiben ja, aber nicht erklären. Wir befanden uns im Freien; in einem Hof, dessen eine Seite von einem Haus gebildet wurde, die anderen drei Seiten bestanden aus Mauern. Dann war noch eine Pergola da, von wildem Wein oder einer anderen Schlingpflanze überwachsen. Unter der Pergola stand ein langer Bankettisch, an dem eine Menge Leute saßen, alle gut angezogen und lustig: Herren in Uniform und Damen in eleganten Kleidern. Dann waren Kellner da, in prunkvoller Livree, und andere Diener, die zu dunklen Hosen den gewöhnlichen russischen Hemdrock trugen, der um die Hüften gegürtet wird. Sie alle waren etwas entfernt von der Stelle, wo ich neben Kuniang stand, vor einem kleinen, tragbaren Altar, wie man ihn im Feld verwendet. Dicht neben uns befanden sich zwei Mädchen, offenbar Brautjungfern, obgleich sie nicht danach angezogen waren. Kuniang trug einen Brautschleier und einen Kranz Orangenblüten. Sie stand in der Sonne, das Gold ihres Haares leuchtete durch den Schleier. Ist es nicht komisch, daß ich so von mir selbst spreche?»
«Allerdings. Ich verstehe nicht, wie du fortwährend von dir als Kuniang sprechen kannst, wie wenn das jemand anderer wäre.»
«Weil ich das ganze Bild von mir sehe, und sie steht mir gerade gegenüber.»
«Es geht mir noch immer nicht ein, was daran furchtbar sein soll. Genau so war es bei Paul und seinem Traum. Er litt entsetzlich, aber wir konnten nicht herausbekommen, warum. Kannst du mir mehr von deiner Vision erzählen? Waren noch andere Leute in dem Bild?»
«Zwei russische Priester, die die Trauungszeremonie Vornahmen. Sie hatten große Hüte wie Schornsteine und lange Bärte. Einer schien halb betrunken, und der andere hatte ein gräßliches, böses Gesicht wie ein Satyr. In etwa zehn Meter Entfernung stand eine Front Soldaten unter dem Kommando eines Offiziers habtacht, auf der dem Hause zugekehrten Seite des Hofes. Offenbar als Ehrenwache.»
«Das Ganze sieht aus wie die Trauung eines Offiziers in einer Landgarnison. Ich kann mir nicht vorstellen, daß eine solche Szene Entsetzen hervorruft.»
«Das Entsetzen hing mit etwas zusammen, was vorher geschehen war, mehrere Male in langen Zwischenräumen, und was wieder geschehen sollte. In jenen wenigen Sekunden wußte ich, was es war. Heute habe ich es vergessen. Übrigens habe ich nicht gesagt, daß die Art und Weise, in der Kuniang gekleidet war, etwas Sonderbares, ja Unanständiges an sich hatte. Ihr weißer Seidenrock war sehr weit und bauschte sich um die Hüften. Sie trug auch ein weißes Unterkleid, das unter dem Rock hervorsah, als wäre es von den Schultern herabgefallen. Von der Taille aufwärts aber war sie nackt, bis auf den Brautschleier.»
Ich pfiff leise und
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