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Der Schneider himmlischer Hosen

Der Schneider himmlischer Hosen

Titel: Der Schneider himmlischer Hosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniele Varè
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Doch in diesem Traum, in dem sie die Hauptrolle spielt, kann auch etwas so Entsetzliches Vorkommen, wie ich es mitgemacht habe. Wissen Sie Näheres über das Leben, das der Abt Ihrem Freund vermittelt?»
    «Paul hat mir von seiner Kindheit erzählt; auch einiges von seiner Jugend. Der Abt muß viel Phantasie besitzen, um das alles zu erfinden, selbst wenn er die Orte und Menschen kennt, die im Traum Vorkommen. Aber ich weiß wenig über die Rolle, die Kuniang darin spielt.»
    «Nur, daß sie das Alexanderkreuz trägt.»
    «Das wissen Sie also?»
    Elisalex gab keine Antwort und blieb wieder eine Weile stumm. Ich hatte das Gefühl, sie wolle mir etwas klarmachen, könne es aber nur schwer oder gar nicht in Worte fassen. Endlich fragte sie:
    «Sie schreiben Geschichten, nicht wahr? Chinesische Geschichten?»
    «Jawohl. Zuweilen.»
    «Ich habe ein paar chinesische Geschichten gehört, seit ich hier bin, und es ist mir aufgefallen, daß sie meist unvollendet bleiben. Ein Teil wird nicht erzählt, den muß der Leser dann erraten — wenn er es vermag. Sie kennen einen Teil der Geschichte, die der Abt Paul in Träumen erzählt. Könnten Sie nicht den Rest erraten?»
    Ich schüttelte den Kopf und erwiderte: «Das bezweifle ich.»
    «Im Mittelpunkt steht das Alexanderkreuz. Vielleicht ginge es eher, wenn Sie wüßten... wem es gehört.»
    Ich sah sie an, gespannt darauf, was sie nun sagen würde. Sie sagte gar nichts, sondern stand auf, den rechten Ellbogen auf den Kamin gestützt. Dann öffnete sie mit der Linken den Samtmantel, daß man die schlanke Gestalt im weißen Satinkleid sehen konnte. Und plötzlich blendete mich ein Licht, das vom Ausschnitt ihres Kleides auszugehen schien. Es kam von einem Kreuz unvergleichlicher Brillanten, das in einen Diamanten eingearbeitet war. Der Mantel schloß sich wieder. Elisalex und ich sahen einander in die Augen.
    «Gute Nacht», sagte sie und wollte zur Tür.
    «So lasse ich Sie nicht gehen!» rief ich. «Was soll das alles?»
    Sie blieb stehen und versetzte gleichmütig: «In jenem Traum spielt Kuniang die Rolle einer anderen Frau. Ich habe Ihnen gezeigt, wessen Rolle sie spielt. Den Rest müssen Sie erraten — wenn Sie es können.»
    «Gewiß, aber...»
    «Und folgen Sie meinem Rat: schaffen Sie Kuniang fort, noch ehe der Traum endet. Oder brechen Sie den Traum ab.»
    «Aber es ist doch nicht Kuniang, die träumt!»
    «Gott sei Dank.»
    «Und Pauls Traum spielt in Sibirien und nicht in Petersburg. Was Sie mir von sich und Rasputin erzählt haben, kommt überhaupt nicht vor.»
    «Warum halten Sie Rasputin für den einzigen Liebhaber einer Frau meines Schlages? Er ist eine Episode und hat nichts zu tun mit dem Leben, das Paul Dysart träumt. Dieses Leben ist furchtbarer als alles, was einem Rasputin je zustoßen konnte. Ich habe Kuniang lieb und kann den Gedanken nicht ertragen, daß sie so Furchtbares erleiden soll, sei es auch nur im Traum eines Dritten. Wenn sie erführe, was Paul von ihr geträumt hat — sie würde es nie verwinden.»
    «Ich sehe sie morgen und werde mein möglichstes tun, um sie von dort wegzubringen.»
    «Gott gebe, daß es Ihnen gelingt.»
    Sie streckte mir die Hand hin, und diesmal hielt ich Elisalex nicht zurück. Ich begleitete sie bis zum Tor und wartete, bis sie ihre Rikscha bestiegen hatte. Als sie schon in der schlecht beleuchteten Straße, der Tatarenmauer entlang, verschwunden war, stand ich noch immer dort und starrte ins Dunkel. Einige Augenblicke lang duftete die staubige Luft der chinesischen Hu-tung nach dem Parfüm, das sie benützte.
     
     
     

3
     
    Kuniang hätte am nächsten Tag um zehn Uhr morgens bei mir sein sollen. Aber sie kam nicht, obwohl ich bis zum Lunch auf sie wartete.
    Mittags brachte mir Unvergleichliche Tugend ein Telegramm, gerichtet «An die Familie des Herrn Cante de’ Tolomei». Der einzige Mensch in Peking, der Anspruch auf diese Bezeichnung hatte, war Kuniang. Aber die ungewöhnliche Form der Adresse ließ mich Böses ahnen, und darum beschloß ich, das Telegramm zu öffnen.
    Meine Befürchtung bewahrheitete sich. Der Subdirektor der Kin-Han zu Kai-feng Fu berichtete, daß Signor Cante, nicht weit von der Brücke über den Gelben Fluß, bei Inspektion der Strecke von Banditen angegriffen und verwundet worden sei. Nach wenigen Stunden sei er verschieden.
    Die traurige Nachricht war von den üblichen Beileidsfloskeln verbrämt, kam aber im übrigen ohne jede Vorbereitung. Ein Glück, daß Kuniang nicht zu Hause war

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