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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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hin. Untersuche den Boden. Schreibe mein Gutachten. Fahre wieder nach Hause. Gehe was essen. Schlafe mit meiner Frau. Ich lebe.«
    »Und Sie kassieren ein fettes Honorar«, erinnert Pendel ihn freundlich.
    »Und zwar im voraus«, bestätigt Guillaume, der sich soeben mit Hilfe des hohen Spiegels vergewissert, daß er überlebt hat. »Als erstes bringe ich das Geld zur Bank. Damit man weiß, daß es sich nicht lohnt, mich zu erschießen.«
    Der einzige andere Teilnehmer an dem Treffen war der äußerst zurückhaltende französische Topgeologe und freie internationale Gutachter Guillaume Delassus ; er hat gute Verbindungen zur politischen Entscheidungsebene des Medellin-Kartells und gilt in gewissen Kreisen als Drahtzieher ersten Ranges und als einer der fünf gefährlichsten Männer Panamas .
    Die anderen vier Auszeichnungen werden demnächst verliehen, nahm er sich beim Schreiben vor.
     
    Ansturm zur Mittagszeit. Heftige Nachfrage nach Martas Thunfisch-Sandwiches. Marta selbst überall und nirgends, mit Bedacht Pendels Blick ausweichend. Dichter Zigarettenqualm und lautes Männerlachen. In Panama hat man gern seinen Spaß, auch bei P & B. Ramón Rudd hat einen schönen Knaben mitgebracht. Bier aus dem Eiskübel, Wein aus bereiften Flaschenkühlern, lokale und ausländische Zeitungen, effektvoll benutzte Handys. Pendel dreifach in seinem Element als Schneider, Gastgeber und Meisterspion: zwischen Anprobe- und Clubraum hin und her eilend, trägt er ab und zu mit Unschuldsmiene etwas hinten in sein Notizbuch ein, hört mehr, als gesagt wird, und erinnert sich an mehr, als er gehört hat. Die alte Garde mit neuen Rekruten im Schlepptau. Man spricht von Skandalen, Pferden und Geld. Man spricht von Frauen und gelegentlich auch vom Kanal. Die Eingangstür fliegt auf, der Geräuschpegel sinkt und schwillt an, man ruft »Rafi!« und »Mickie!«, als die Abraxas-Domingo-Show ihren wie immer imposanten Einzug hält: das berühmte Playboy-Duo, wieder einmal versöhnt, Rafi geschmückt mit Goldkette, goldenen Ringen, goldenen Zähnen, italienischen Schuhen und einem knallbunten Jackett von P & B, das er locker um die Schultern gehängt hat, denn er haßt Einfarbiges, er haßt Jacketts, die nicht ausgesprochen geschmacklos sind, und er liebt das Lachen, die Sonne und Mickies Frau.
    Mickie wirkt finster und unglücklich, aber er klammert sich an Rafi, als ob sein Leben davon abhinge, als ob Rafi sein letzter Strohhalm wäre, nachdem er alles andere im Rausch verloren hat. Die zwei Männer schreiten ins Getümmel und gehen auseinander; während Rafi die Anwesenden um sich schart, begibt sich Mickie in den Anproberaum und zieht zum zigstenmal den neuen Anzug an, der besser und bunter, teurer und kühler und verführerischer als der von Rafi sein soll – Rafi, wollen Sie am Sonntag den Goldpokal der First Lady gewinnen?
    Dann reißt das Stimmengewirr plötzlich ab, und man hört nur noch einen Sprecher: Mickie, der niedergeschlagen aus dem Anproberaum kommt und der versammelten Mannschaft lauthals verkündet, sein neuer Anzug sei der letzte Scheiß.
    Er sagt das erst so, dann mit anderen Worten Pendel direkt ins Gesicht: eine Provokation, die er lieber an Domingo richten würde, aber da er das nicht wagt, muß Pendel eben dran glauben. Dann sagt er dasselbe mit anderen Worten ein drittesmal, denn inzwischen wartet sein Publikum schon darauf. Und Pendel, versteinert einen halben Meter vor ihm stehend, wartet ebenfalls. An jedem anderen Tag wäre Pendel der Attacke ausgewichen, hätte einen freundlichen Scherz gemacht, Mickie einen Drink angeboten und ihm vorgeschlagen wiederzukommen, wenn er besserer Laune wäre, hätte ihn die Treppe hinunter geleitet und in ein Taxi gepackt. Die Zellengenossen haben solche Szenen auch durchgestanden, und Mickie hat es ihnen tags darauf mit teuren Geschenken vergolten: mit Orchideen, Wein, kostbarem Huaka-Schmuck und kriecherischen, persönlich überreichten Dank- und Entschuldigungsschreiben.
    Aber wer dergleichen heute von Pendel erwartet, rechnet nicht mit der schwarzen Katze, die jetzt die Leine zerreißt und sich mit Klauen und Zähnen auf Mickie stürzt, um mit einer Wildheit auf ihn loszugehen, die kein Mensch in Pendel vermutet hätte. Alle Schuldgefühle, die ihm jemals gekommen waren, weil er Mickies Schwäche ausgenutzt, ihn verleumdet, ihn ausgebeutet, ihn verkauft, ihn in der Grube seiner plärrenden Unterwürfigkeit aufgesucht hatte – das alles hat sich in Wut verwandelt und schießt

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