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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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anderen Ländern der Region holen, in ganz Lateinamerika einen antikolonialistischen Kreuzzug führen. Ein freies Panama fordern. Außerdem würden wir alle japanischen Geschäfte niederbrennen und die Verräter aufhängen, den Präsidenten als ersten. Reicht das?«
    »Danke. Das macht sich bestimmt ganz ausgezeichnet. Die Leute von der anderen Seite der Brücke würdet ihr natürlich auch dazu aufrufen«, fiel ihm noch ein.
    »Selbstverständlich. Die Studenten sind ja nur die vorderste Reihe der proletarischen Bewegung.«
    »Das mit Mickie tut mir leid«, murmelte Pendel nach einer Pause. »Ich konnte mich einfach nicht beherrschen.«
    »Wenn wir unseren Feinden nicht schaden können, schaden wir unseren Freunden. Hauptsache, man erkennt das.«
    »Das tue ich.«
    »Der Bär hat angerufen.«
    »Wegen seines Artikels?«
    »Von dem Artikel hat er nichts gesagt. Er will dich unbedingt sehen. Bald. Er wartet am üblichen Ort. Es klang beinahe wie eine Drohung.«

17
    Die Brasserie Boulevard Balboa an der Avenida Balboa bestand aus einem niedrigen, karg eingerichteten Raum mit Styropordecke und Neonröhren, die wie Gefangene hinter hölzerne Gitter gesperrt waren. Vor einigen Jahren hatte es einen Bombenanschlag auf das Lokal gegeben, kein Mensch wußte mehr warum. Die großen Fenster blickten über die Avenida Balboa aufs Meer hinaus. An einem langen Tisch, geschützt von Bodyguards in schwarzen Anzügen und Sonnenbrillen, predigte ein Mann mit Hängebacken in eine Fernsehkamera. Der Bär saß abseits davon und las seine eigene Zeitung. Die Tische um ihn herum waren leer. Er trug einen gestreiften Blazer von P & B und einen Panamahut zu sechzig Dollar aus der Boutique. Sein pechschwarzer Piratenbart glänzte wie frisch gewaschen. Er paßte gut zum tiefschwarzen Gestell seiner Brille.
    »Sie haben angerufen, Teddy«, erinnerte ihn Pendel, nachdem er eine Minute lang unbemerkt auf der falschen Seite der Zeitung gesessen hatte.
    Die Zeitung sank widerwillig herab.
    »Weswegen?« fragte der Bär.
    »Sie haben angerufen, und ich bin gekommen. Die Jacke steht Ihnen ausgezeichnet.«
    »Wer hat die Reisfarm gekauft?«
    »Ein Freund von mir.«
    »Abraxas?«
    »Natürlich nicht.«
    »Wieso natürlich nicht? «
    »Weil er kein Geld mehr hat.«
    »Wer sagt das?«
    »Er selbst.«
    »Vielleicht bezahlen Sie Abraxas. Vielleicht arbeitet er für Sie. Haben Sie irgendwas mit Abraxas laufen? Drogengeschäfte, wie sein Vater?«
    »Teddy, Sie sind wohl nicht ganz bei Trost!«
    »Womit haben Sie Rudd ausbezahlt? Wer ist dieser verrückte Millionär, mit dem Sie immer so dicke tun, ohne Rudd ein Stück vom Kuchen abzugeben? Das war ein echter Affront. Was soll auf einmal dieser lächerliche Clubraum über Ihrem Laden? Haben Sie sich an jemand verkauft? Was soll das alles?«
    »Ich bin Schneider, Teddy. Für Herrenanzüge, und ich möchte expandieren. Wollen Sie nicht etwas Gratisreklame für mich machen? Kürzlich gab es einen Artikel im Miami Herald , ich weiß nicht, ob Sie den zufällig gelesen haben.«
    Der Bär seufzte. Seine Stimme war gleichgültig. Anteilnahme, Menschlichkeit, Neugier – dergleichen schwang schon lange nicht mehr darin mit, falls er überhaupt jemals so etwas empfunden hatte.
    »Ich will Ihnen mal ein paar journalistische Grundsätze erklären«, sagte er. »Ich kann auf zweierlei Weise zu Geld kommen. Erstens, die Leute bezahlen mich dafür, daß ich Artikel schreibe, also schreibe ich welche. Ich hasse das Schreiben, aber auch ich muß mein Essen bezahlen, von gewissen anderen Neigungen ganz zu schweigen. Zweitens, die Leute geben mir Geld, damit ich bestimmte Artikel nicht schreibe. Ich selbst ziehe diese Variante vor, denn dann brauche ich nichts zu schreiben und komme trotzdem an mein Geld. Wenn ich meine Trümpfe richtig einsetze, bekomme ich fürs Nichtschreiben mehr als fürs Schreiben. Es gibt noch eine dritte Möglichkeit, die mir allerdings nicht zusagt. Sozusagen die letzte Zuflucht. Ich gehe zu gewissen Leuten in der Regierung und biete an, ihnen meine Informationen zu verkaufen. Aber das ist nicht sehr befriedigend.«
    »Warum?«
    »Ich verkaufe nicht gern im Dunkeln. Wenn ich es mit gewöhnlichen Leuten zu tun habe – mit Ihnen zum Beispiel, oder mit dem da drüben –, wenn ich weiß, daß ich seinen Ruf, sein Geschäft, seine Ehe kaputtmachen kann, und wenn auch der Betreffende das weiß, dann hat der Artikel einen bestimmten Preis, und wir können uns einigen wie bei einem ganz normalen

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