Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
Vom Netzwerk:
ganz gemächlich wieder aufwärts, um noch einmal eingehend das Gesicht zu betrachten und dann schließlich im Laden umherzuspähen. Und weil er sein dickes Hinterbein einfach nicht von Pendels Kokosmatte nahm, schrillte die Klingel unterdessen ununterbrochen weiter.
    »Wunderbar«, erklärte er. »Absolut wunderbar. Daran dürfen Sie nie einen Deut ändern.«
    »Nehmen Sie Platz, Sir«, drängte Pendel gastfreundlich. »Fühlen Sie sich wie zu Hause, Mr. Osnard. Bei uns fühlt sich jeder wie zu Hause, auf alle Fälle hoffen wir das. Hierher kommen mehr Leute zu einem Plausch als zum Erwerb eines Anzugs. Der Schirmständer ist übrigens gleich neben Ihnen. Stellen Sie ihn da rein.«
    Doch weit davon entfernt, seinen Schirm irgendwo hineinzustellen, wies Osnard damit wie mit einem Zeigestab auf ein gerahmtes Foto, das gut sichtbar an der hinteren Wand hing und einen sokratischen Herrn in Rundkragen und schwarzem Jackett zeigte, der durch seine Brille skeptisch auf die Welt der Jüngeren hinabsah.
    »Und das ist er , richtig?«
    »Was denn, Sir, wer? Wo?«
    »Da drüben. Der große Mann. Arthur Braithwaite.«
    »O ja, selbstverständlich, Sir. Sie haben ein scharfes Auge, wenn ich so sagen darf. Der große Mann persönlich, wie Sie sehr treffend bemerken. Porträtiert in seinen besten Jahren auf Wunsch seiner ihn liebenden Angestellten, die ihm das Bild anläßlich seines Sechzigsten überreicht haben.«
    Als Osnard zwecks genauerer Betrachtung einen Satz nach vorne machte, verstummte endlich die Klingel. »›Arthur G.‹«, las er von dem Messingtäfelchen ab, das unten am Rahmen angebracht war. »›1908-1981. Gründer der Firma.‹ Nicht zu fassen. Hätte ihn niemals erkannt. Wofür steht eigentlich das G?«
    »George«, sagte Pendel, während er sich fragte, wieso Osnard glaubte, er habe ihn erkennen müssen. Er ging aber nicht so weit, sich danach zu erkundigen.
    »Und wo stammte er her?«
    »Aus Pinner«, sagte Pendel.
    »Ich meine das Bild. Haben Sie es mitgebracht? Wo war es früher?«
    Pendel erlaubte sich ein trauriges Lächeln und seufzte.
    »Ein Geschenk seiner verehrten Witwe, Mr. Osnard, kurz bevor sie ihm folgte. Eine schöne Geste, die sie sich in Anbetracht der enormen Transportkosten von England nach hier kaum leisten konnte; aber sie hat es trotzdem getan. ›Dort möchte er jetzt gerne sein‹, hat sie gesagt, und niemand konnte es ihr ausreden. Und das wollte auch niemand. Schließlich war es ihr Herzenswunsch. Wer hätte da widersprochen?«
    »Wie hieß sie mit Vornamen?«
    »Doris.«
    »Kinder?«
    »Pardon, Sir?«
    »Mrs. Braithwaite. Ob sie Kinder hatte? Erben. Nachkommen.«
    »Nein, leider war die Ehe nicht gesegnet.«
    »Aber müßte es nicht eigentlich Braithwaite & Pendel heißen? Schließlich war der alte Braithwaite der Hauptteilhaber. Müßte als erster genannt werden, auch wenn er tot ist.«
    Pendel schüttelte bereits den Kopf »Nein, Sir. Mitnichten. Arthur Braithwaite hat es damals ausdrücklich so gewünscht. ›Harry, mein Sohn, die Jugend soll den Vortritt vor dem Alter haben. Von heute an heißt es P & B. Auf diese Weise kann man uns auch nicht mit einer gewissen Ölgesellschaft verwechseln.‹«
    »Und für welche Könige haben Sie gearbeitet? Immerhin steht ›Hofschneider‹ auf dem Ladenschild. Das macht mich rasend neugierig.«
    Pendel ließ sein Lächeln ein wenig abkühlen.
    »Nun, Sir, da es um königliche Hoheiten geht, kann ich leider nicht viel dazu sagen. Aber lassen Sie es mich so formulieren: Gewisse Herren, die einem gewissen Königsthron nicht allzu fern stehen, haben uns in der Vergangenheit beehrt und tun es noch heute. Weitere Einzelheiten dürfen wir leider nicht preisgeben.«
    »Warum denn nicht?«
    »Erstens gibt es den Ehrenkodex des Schneiderhandwerks, der jedem Kunden, sei er von hoher oder niedriger Geburt, Vertraulichkeit zusichert. Und zweitens geschieht es heutzutage wohl auch aus Sicherheitsgründen.«
    »Also der Thron von England?«
    »Bedaure, die Frage geht zu weit, Mr. Osnard.«
    »Wozu hängt denn dann das Wappen des Prince of Wales da draußen? Hab erst gedacht, das wär ein Pub hier.«
    »Vortrefflich, Mr. Osnard. Sie haben bemerkt, was hier in Panama nur wenige bemerken, aber von nun an sind meine Lippen versiegelt. Nehmen Sie Platz, Sir. Marta hat Gurkensandwiches zubereitet, greifen Sie nur zu. Ich weiß nicht, ob sich ihr Ruhm bereits bis zu Ihnen herumgesprochen hat. Dazu kann ich Ihnen einen sehr guten leichten Weißwein empfehlen.

Weitere Kostenlose Bücher