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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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soeben eine erlebt haben.«
    »Jaja, das große Rad der Zeit, wie?«
    »Allerdings, Sir. Es dreht sich unaufhaltsam und zermalmt alles, was da kommt, wie man so sagt«, bestätigte Pendel und wandte sich wieder dem Musterbuch zu wie jemand, der Trost in der Arbeit sucht.
    Doch Osnard mußte erst noch ein Gurkensandwich verspeisen, was ihm mit einem Biß gelang; dann entfernte er die Krümel von den Händen, indem er sie mehrmals langsam aneinanderschlug, bis ihn nichts mehr störte.
     
    Der Empfang neuer Kunden lief bei P & B nach einem gut eingespielten Verfahren ab. Einen Stoff aus dem Musterbuch auswählen, den gewählten Stoff am Stück betrachten – denn Pendel achtete sehr darauf, nie ein Muster vorzulegen, das er nicht auch am Lager hatte –, sich zum Maßnehmen in den Anproberaum zurückziehen, Herrenboutique und Sportabteilung besichtigen, einen Rundgang durch den hinteren Flur machen, Marta begrüßen, ein Kundenkonto eröffnen, eine Anzahlung leisten, falls nichts anderes vereinbart wurde, einen Termin in zehn Tagen zur ersten Anprobe absprechen. In Osnards Fall hielt Pendel es für angebracht, von diesem Schema abzuweichen. Er führte ihn von den Musterbüchern direkt in den hinteren Flur – zur nicht geringen Bestürzung Martas, die sich in die Küche zurückgezogen hatte und in ein Buch vertieft war: Ökologie auf Darlehen , eine Geschichte der gedankenlosen Vernichtung der Dschungel Südamerikas mit kräftiger Unterstützung der Weltbank.
    »Ich möchte Ihnen das eigentliche Gehirn von P & B vorstellen, Mr. Osnard, auch wenn die Dame das ganz und gar nicht gern hört. Marta, begrüßen Sie Mr. Osnard. O-S-N, dann A-R-D. Richten Sie eine Karte für ihn ein, meine Liebe, und schreiben Sie ›alter Kunde‹ dazu, denn Mr. Braithwaite hat bereits für seinen Vater gearbeitet. Und der Vorname, Sir?«
    »Andrew«, sagte Osnard, und Pendel sah Martas Augen an ihm emporwandern und ihn mustern, als habe sie noch etwas anderes als nur seinen Namen gehört, dann wandte sie sich fragend an Pendel.
    » Andrew? « wiederholte sie.
    Pendel erklärte eifrig: »Vorläufig im El Panama Hotel, Marta, aber demnächst wohnt er, dank unseren berühmten panamaischen Bauunternehmern, wo …?«
    »Punta Paitilla.«
    »Aber natürlich«, sagte Pendel mit andächtigem Lächeln, als habe Osnard Kaviar bestellt.
    Marta, die sorgfältig ein Lesezeichen in ihren Wälzer gelegt und ihn beiseite geschoben hatte, notierte alle diese Angaben grimmig hinter dem Schutzwall ihres schwarzen Haars.
    »Was ist denn mit der armen Frau passiert?« erkundigte sich Osnard mit gedämpfter Stimme, als sie auf dem Flur wieder unter sich waren.
    »Ein Unfall, Sir. Der leider von den Ärzten ziemlich schlecht versorgt wurde.«
    »Überrascht mich, daß Sie sie behalten. Da müssen Ihre Kunden ja das Grausen kriegen.«
    »Ganz im Gegenteil, erfreulicherweise, Sir«, gab Pendel entschieden zurück. »Marta entwickelt sich geradezu zum Liebling meiner Kunden. Für ihre Sandwiches würden sie sich totschlagen lassen, sagen sie.«
    Um weitere Fragen nach Marta zu vermeiden und sich nicht ihrer Kritik auszusetzen, wechselte Pendel nun unvermittelt das Thema und hielt seinen Standardvortrag über die Taguanuß, die im Regenwald wächst und längst, wie er Osnard ernsthaft versicherte, von der gesamten fühlenden Welt als akzeptabler Ersatz für Elfenbein anerkannt werde.
    »Und jetzt frage ich Sie, Mr. Osnard, was macht man wohl heutzutage aus Tagua?« insistierte er mit noch mehr Nachdruck als gewöhnlich. »Dekorative Schachfiguren? Gewiß, auch Schachfiguren. Kunstschnitzereien? Ebenfalls. Ohrringe, Modeschmuck, wir kommen der Sache schon näher – aber was noch? Was kann man sonst noch daraus machen – etwas Traditionelles, was aber in unseren modernen Zeiten vollkommen vergessen ist? Was machen wir von P & B daraus, unter beträchtlichen Kosten und zum Wohl unserer geschätzten Kundschaft und künftiger Generationen?«
    »Knöpfe«, meinte Osnard.
    »Antwort: Ganz recht, Knöpfe. Vielen Dank«, sagte Pendel und blieb vor einer Tür stehen. »Indiomädchen«, erklärte er vorsorglich und senkte die Stimme. »Kunas. Sehr empfindlich, wenn ich so sagen darf.«
    Er klopfte an, öffnete die Tür, trat ehrfürchtig ein und winkte seinen Gast hinter sich her. Dort saßen im Licht von Arbeitslampen drei Indiofrauen undefinierbaren Alters und nähten Jacketts zusammen.
    »Ich möchte Ihnen unsere Mitarbeiterinnen vorstellen, Mr. Osnard«, sagte er

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