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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Aus Chile, importiert von einem meiner Kunden, der so freundlich ist, mir ab und zu eine Kiste zu schicken. Womit darf ich Sie in Versuchung führen?«
    Denn inzwischen wurde es für Pendel wichtig, daß Osnard sich in Versuchung führen ließ.
     
    Osnard setzte sich immer noch nicht, nahm aber ein Sandwich. Das heißt, er nahm sich gleich drei auf einmal von dem Teller: eins für den ersten Hunger und zwei, die er auf der gut gepolsterten Fläche seiner linken Hand balancierte, während er Schulter an Schulter mit Pendel an dem Apfelholztisch stand.
    »Also das hier ist ganz und gar nichts für Sie, Sir«, vertraute Pendel ihm an und zeigte, wie er es immer tat, mit abfälliger Gebärde auf ein Musterbuch mit leichten Tweedstoffen. »Das hier taugt auch nicht viel – jedenfalls nicht für die reife Figur, wie ich das nenne. Vielleicht kann ein Besenstil oder ein bartloser Jüngling so etwas tragen, aber nicht jemand wie Sie oder ich, wenn ich so sagen darf.« Er schlug noch einmal um. »Jetzt wird es schon besser.«
    »Erstklassige Alpakawolle.«
    »Ganz recht, Sir«, sagte Pendel ziemlich erstaunt. »Aus dem Hochland der Anden im Süden Perus, geschätzt wegen ihrer Weichheit und der Vielzahl natürlicher Farbtöne, um den Wool Record zu zitieren, wenn ich mir die Freiheit erlauben darf. Nun, ich muß schon sagen, Sie kennen sich ja wirklich gut aus, Mr. Osnard.«
    Aber er sagte das nur, weil die Kundschaft normalerweise nicht die leiseste Ahnung von Stoffen hatte.
    »Der Lieblingsstoff meines Vaters. Er hat darauf geschworen. Alpaka oder pleite, hat er immer gesagt.«
    »Tatsächlich, Sir? Das hat er gesagt?«
    »Er ist tot. Oben bei Braithwaite.«
    »Nun, Mr. Osnard, dazu kann ich nur mit aller Hochachtung sagen, daß Ihr verehrter Vater wußte, wovon er sprach«, rief Pendel aus und stürzte sich in eins seiner Lieblingsthemen. »Denn aus Alpaka, und ich habe mich recht ausführlich darüber informiert, werden die angenehmsten Tuche der Welt hergestellt. Immer und ewig, wenn Sie gestatten. Da kommt auch das allerbeste Mohair-Kammgarn-Gemisch nicht mit, bei weitem nicht. Alpaka wird im Garn gefärbt, daher die Vielfalt und Pracht der Farben. Alpaka ist rein, es ist geschmeidig, es atmet. Auch die empfindlichste Haut wird davon nicht gereizt.« Er berührte Osnard vertraulich am Oberarm. »Und wozu haben die Schneider in der Savile Row es verwendet, Mr. Osnard, und zwar, zu ihrer ewigen und immerwährenden Schande, bis die Knappheit des Materials dem schließlich erst ein Ende gemacht hat, was glauben Sie wohl?«
    »Keine Ahnung.«
    »Als Futterstoff«, verkündete Pendel angewidert. »Als gewöhnlichen Futterstoff. Der reinste Vandalismus.«
    »Da muß der alte Braithwaite ja Zustände gekriegt haben.«
    »Das hat er auch, Sir, und ich schäme mich nicht, ihn zu zitieren. ›Harry‹, hat er zu mir gesagt – neun Jahre hat es gedauert, bis er mich Harry nannte –, ›Harry, was diese Leute mit Alpaka machen, würde ich nicht einmal einem Hund antun.‹ Das waren seine Worte, und ich höre sie noch heute.«
    »Ich auch.«
    »Pardon, Sir?«
    Wenn Pendel die Aufmerksamkeit in Person war, war Osnard das Gegenteil. Er schien die Wirkung seiner Worte gar nicht zu bemerken und blätterte bedächtig in dem Musterbuch weiter.
    »Ich glaube, ich habe Sie nicht recht verstanden, Mr. Osnard.«
    »Der alte Braithwaite hat meinen Vater eingekleidet. Ist natürlich schon lange her. Da war ich noch ein kleiner Junge.«
    Pendel schien es vor Rührung die Sprache zu verschlagen. Er erstarrte und hob die Schultern wie ein alter Soldat vor dem Ehrenmal. Als er dann Worte fand, klangen sie atemlos. »Nein, so was, Sir. Verzeihen Sie. Aber das ist ja wirklich ein Ding.« Er faßte sich ein wenig. »Ich muß zugeben, das erlebe ich zum erstenmal. Vater und Sohn. Beide Generationen hier bei P & B. Das haben wir hier in Panama noch nicht gehabt. Noch nie. Seit wir die Row verlassen haben.«
    »Dachte mir, daß Sie überrascht wären.«
    Für einige Sekunden hätte Pendel schwören können, daß die lebhaften braunen Fuchsaugen ihren Glanz verloren hatten und kreisrund, stumpf und dunkel geworden waren – nur noch ein Fünkchen glomm in jeder Pupille. Und wenn er sich später daran erinnerte, war das Fünkchen nicht golden, sondern rot. Aber der Glanz war schnell wieder da.
    »Stimmt was nicht?« fragte Osnard.
    »Ich bin einfach fassungslos, Mr. Osnard. ›Eine schicksalhafte Begegnung‹, so nennt man so etwas wohl. Ich muß

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