Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
Vom Netzwerk:
sich inzwischen wohl wieder ihrer Lektüre zugewandt hatte.
    »Ich will es einmal so formulieren, Mr. Osnard. Wir haben die Ladentür geschlossen. Die Hintertür ist manchmal offen geblieben.«
    »Ganz schön schlau.«
    Pendel drückte die nächste Klinke und schob die Tür auf. Zwei ältere italienische Hosenschneiderinnen in weißen Schürzen und goldenen Brillen blickten von der Arbeit auf. Osnard winkte ihnen majestätisch zu und trat auf den Flur zurück. Pendel folgte ihm.
    »Für den Neuen arbeiten Sie auch?« fragte Osnard leichthin.
    »Ja, Sir, ich kann mit Stolz vermelden, daß der Präsident der Republik Panama derzeit zu meinen Kunden zählt. Man kann sich kaum einen sympathischeren Gentleman vorstellen.«
    »Wo machen Sie’s?«
    »Pardon, Sir?«
    »Kommt er her, gehen Sie hin?«
    Pendel verfiel in einen leicht überheblichen Tonfall. »Man wird in den Palast bestellt, Mr. Osnard. Die Leute gehen zum Präsidenten, nicht er zu ihnen.«
    »Dann kennen Sie sich ja gut aus da oben, wie?«
    »Nun, Sir, er ist mein dritter Präsident. Da haben sich einige Beziehungen entwickelt.«
    »Zu seinen Gefolgsleuten?«
    »Ja. Zu denen auch.«
    »Und was ist mit ihm selbst? Mit dem Chef?«
    Wieder, wie schon zuvor, wenn er gegen die Regeln geschäftlicher Diskretion zu verstoßen drohte, legte Pendel eine Pause ein.
    »Ein großer Staatsmann, Sir, steht heutzutage unter Dauerstreß, er ist einsam, abgeschnitten von dem, was ich die alltäglichen Freuden nenne, die das Leben lebenswert machen. Wenn er ein paar Minuten allein mit seinem Schneider verbringt, kann das schon eine willkommene Atempause im Getümmel sein.«
    »So ein richtiges Plauderstündchen?«
    »Ich würde es eher als wohltuendes Intermezzo bezeichnen. Zum Beispiel fragt er mich, was meine Kunden über ihn reden. Ich antworte – natürlich, ohne Namen zu nennen. Gelegentlich, wenn ihm etwas auf dem Herzen liegt, beehrt auch er mich mit einer kleinen Vertraulichkeit. Ich stehe halt in dem Ruf, diskret zu sein, und das werden ihm seine äußerst wachsamen Berater zweifellos mitgeteilt haben. Nun, Sir. Wenn ich bitten darf.«
    »Wie spricht er Sie an?«
    »Unter vier Augen, oder in Gegenwart anderer?«
    »Harry?« fragte Osnard.
    »Richtig.«
    »Und Sie?«
    »Ich biedere mich nicht an, Mr. Osnard. Man hat mir die Chance geboten, man hat mich eingeladen. Aber für mich ist er Herr Präsident, und das wird auch so bleiben.«
    »Und was ist mit Fidel?«
    Pendel lachte fröhlich wie schon lange nicht mehr. »Nun, Sir, der Commandante trägt heutzutage in der Tat gern mal einen Anzug, und das mit Recht, bedenkt man seine zunehmende Körperfülle. Es gibt keinen Schneider hier in der Region, der nicht alles darum geben würde, für ihn zu arbeiten, was auch immer die Yanquis von ihm halten mögen. Aber er bleibt nun einmal seinem kubanischen Schneider treu, wie Sie zweifellos peinlich berührt im Fernsehen bemerkt haben werden. Du liebe Zeit. Mehr will ich nicht sagen. Wir sind hier, wir sind bereit. Wenn der Anruf kommt, nimmt P & B ihn entgegen.«
    »Sie haben praktisch einen richtigen Nachrichtendienst aufgebaut?«
    »Der Wettbewerb ist mörderisch, Mr. Osnard. Wir haben zahllose Konkurrenten. Ich müßte schon sehr dumm sein, wenn ich nicht die Ohren offenhalten würde.«
    »Das stimmt. Wir wollen’s nicht dem alten Braithwaite gleichtun, wie?«
     
    Pendel war auf eine Trittleiter gestiegen. Er balancierte auf der obersten Stufe, die er normalerweise nicht benutzte, und hatte einen Ballen grauen Alpakatuchs erster Qualität aus dem obersten Regal gehangelt, den er Osnard jetzt von da oben zur Prüfung hinhielt. Wie er dort hinaufgekommen war, was ihn dazu gebracht hatte – das waren Rätsel, über die nachzudenken er ebenso wenig bereit war wie eine Katze, die sich im Wipfel eines Baums wiederfindet. Sein einziger Gedanke war Flucht.
    »Man muß sie aufhängen, Sir, sage ich immer, solange sie noch warm sind, und man sollte stets das Rotationsprinzip beachten«, erklärte er mit lauter Stimme einem Stapel mitternachtsblauen Kammgarns zwei Handbreit vor seiner Nase. »Das hier dürfte ganz nach Ihrem Geschmack sein, Mr. Osnard. Eine vortreffliche Wahl, wenn ich so sagen darf, und ein grauer Anzug ist in Panama ohnehin praktisch ein Muß. Ich bringe Ihnen den Ballen einmal hinunter, damit Sie ihn sich einmal ansehen und ihn anfassen können. Marta! Bitte in den Laden, meine Liebe!«
    »Was heißt das: Rotationsprinzip?« fragte Osnard von unten; er

Weitere Kostenlose Bücher