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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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hatte die Hände in den Taschen und sah sich Krawatten an.
    »Kein Anzug sollte zwei Tage in Folge getragen werden, Mr. Osnard, schon gar nicht einer aus so leichtem Tuch. Wie Sie gewiß oftmals aus dem Mund Ihres Herrn Vaters gehört haben.«
    »Das hatte er von Arthur, stimmt’s?«
    »Die chemische Reinigung ist der Tod jedes guten Anzugs, sage ich immer. Haben sich Schmutz und Schweiß erst einmal festgesetzt, und das geschieht, wenn man den Anzug überstrapaziert, muß man ihn bald in die Reinigung geben, und das ist der Anfang vom Ende. Ein Anzug, der nicht rotiert wird, ist nur ein halber Anzug, sage ich. Marta! Wo steckt sie denn bloß?«
    Osnard beschäftigte sich weiter mit den Krawatten.
    »Mr. Braithwaite hat seinen Kunden sogar geraten, ihre Anzüge überhaupt nicht in die Reinigung zu geben«, fuhr Pendel mit leicht erhobener Stimme fort. »Einfach nur ausbürsten, notfalls einen Schwamm benutzen, und einmal jährlich in den Laden bringen, wo der Anzug im River Dee gewaschen wird.«
    Osnard hatte sich von den Krawatten losgerissen und sah jetzt fragend zu ihm hinauf.
    »Wegen der hochgeschätzten Reinigungskraft dieses Flusses«, erklärte Pendel. »Der Dee ist für unsere Anzüge so etwa dasselbe wie der Jordan für den Pilger.«
    »Ich dachte, der Satz stammt von Huntsman«, sagte Osnard und sah Pendel unverwandt in die Augen.
    Pendel geriet ins Stocken. Sichtlich. Und Osnard beobachtete ihn dabei.
    »Mr. Huntsman ist ein ausgezeichneter Schneider, Sir. Einer der besten in der Savile Row. Aber in diesem Fall ist er den Fußspuren Arthur Braithwaites gefolgt.«
    Wahrscheinlich hatte er Fußstapfen sagen wollen, doch unter Osnards scharfem Blick entstand vor ihm ein deutliches Bild von dem großen Mr. Huntsman, wie er, König Wenzels Pagen gleich, unterwürfig Braithwaites nasser Fährte durch die schwarzen Moore Schottlands folgte. Verzweifelt bemüht, den Bann zu brechen, packte er den Stoffballen und stieg behutsam, mit einer Hand die Balance haltend, mit der anderen den Ballen wie ein Baby an die Brust drückend, die Trittleiter hinunter.
    »Hier, sehen Sie, Sir. Unser mittelgrauer Alpaka in seiner ganzen Herrlichkeit. Danke, Marta«, sagte er, als sie verspätet unter ihm auftauchte.
    Mit abgewandtem Gesicht nahm Marta das Ende der Stoffbahn in beide Hände, bewegte sich rückwärts zur Tür und hielt das Tuch dabei leicht schräg, damit Osnard es prüfen konnte. Und irgendwie fing sie Pendels Blick auf, und auch er sah ihr in die Augen, die gleichermaßen fragend und vorwurfsvoll dreinschauten. Osnard bekam das zum Glück nicht mit. Ganz in die Betrachtung des Tuchs vertieft, stand er darübergebeugt, die Hände auf dem Rücken wie ein königlicher Besucher. Er schnüffelte daran. Er faßte den Stoff an, rieb ihn prüfend zwischen Daumen und Zeigefinger. Die Schwerfälligkeit seiner Bewegungen löste bei Pendel noch größere Bemühungen und bei Marta noch größeres Mißfallen aus.
     
    »Grau ist nichts für uns, Mr. Osnard? Wie ich sehe, bevorzugen Sie Braun! Und das steht Ihnen auch ausgezeichnet, wenn ich so sagen darf. Aber um ehrlich zu sein, Braun ist zur Zeit hier in Panama wenig gefragt. Offenbar ist Braun für den durchschnittlichen panamaischen Gentleman nicht männlich genug, warum, weiß ich auch nicht.« Er war schon wieder halb die Leiter hinauf, während Marta noch ihr Ende der Stoffbahn hielt und der graue Ballen neben ihr auf dem Boden lag. »Ich habe hier oben ein Mittelbraun mit nicht allzuviel Rot, das wird Ihnen stehen. Da haben wir’s. Allzuviel Rot macht ein gutes Braun kaputt, sage ich immer, ob das stimmt, weiß ich auch nicht. Wie hätten Sie’s denn nun gern, Sir?«
    Osnard ließ sich mit der Antwort sehr lange Zeit. Zunächst hielt weiterhin das graue Tuch seine Aufmerksamkeit gefangen, dann Marta, die ihn mit einem gewissermaßen medizinischen Widerwillen betrachtete. Dann hob er den Kopf und starrte Pendel auf der Leiter an. Und nach der gefühllosen Kälte zu urteilen, die Osnards ihm zugewandtes Gesicht ausstrahlte, hätte Pendel ebensogut ein Trapezkünstler sein können, der ohne seine Stange unter der Zirkuskuppel festsaß und auf die Welt hinabsah, die ein ganzes Leben weit weg zu sein schien.
    »Bleiben Sie ruhig bei Grau, Alter«, sagte Osnard. »›Grau für die Stadt, Braun fürs Land.‹ Hat er das nicht immer gesagt?«
    »Wer?«
    »Braithwaite. Wer sonst?«
    Pendel stieg langsam von der Leiter. Er schien etwas sagen zu wollen, ließ es aber. Ihm

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