Der Schneider
dar. Wenn man mit einem guten schweren Hammer darauf einschlägt, wenn man mit dem Hammer schön weit ausholt und ihn auf Emilys Kopf niederkrachen läßt, wovon Louisa ihre ganze Jugend über geträumt hat – dann ist die Tür wie fast alles auf der Welt bloß ein Stück Dreck.
Nachdem sie die Tür zertrümmert hatte, steuerte Louisa auf den Schreibtisch ihres Mannes zu und sprengte mit Hammer und Meißel die oberste Schublade auf – drei kräftige Hiebe, ehe sie merkte, daß die Schublade gar nicht verschlossen war. Sie durchwühlte den Inhalt. Rechnungen. Architektenentwürfe für die Sportabteilung. Man kann nicht gleich beim erstenmal Glück haben. Ich jedenfalls nicht. Also die zweite Schublade. Verschlossen, gibt aber bei der ersten Attacke nach. Das sieht doch schon vielversprechender aus. Unfertige Aufsätze über den Kanal. Fachzeitschriften, Zeitungsausschnitte, Zusammenfassungen davon in Harrys schnörkeliger Schneiderschrift.
Wer ist sie? Für wen macht er das alles , verdammte Scheiße? Harry, ich rede mit dir. Hör mir bitte zu. Wer ist diese Frau, die du ohne meine Zustimmung auf meiner Reisfarm untergebracht hast und die du mit deiner nicht vorhandenen Gelehrsamkeit beeindrucken zu müssen glaubst? Wem gilt dieses verträumte dämliche Lächeln, mit dem du neuerdings herumläufst – ich bin auserwählt, ich bin selig, ich wandle auf Wasser. Und deine Tränen – ach Scheiße, Harry, wem gelten diese grauenhaften Tränen, die dir in den Augen stehen und niemals richtig fließen?
Wieder stiegen Wut und Enttäuschung in ihr auf, sie sprengte die nächste Schublade und erstarrte. Ach du Scheiße! Geld! Jede Menge Geld! Eine ganze Schublade vollgestopft mit Geld! Hunderter, Fünfziger, Zwanziger. Liegen da lose in der Schublade rum wie alte Parkscheine. Tausend. Zwei-, dreitausend. Er hat Banken überfallen. Für wen?
Für seine Mätresse? Sie macht es für Geld? Für seine Mätresse, damit er sie zum Essen ausführen kann, ohne daß es in der Haushaltsbuchführung auffällt? Damit er ihr auf meiner, der von meiner Erbschaft gekauften Reisfarm den Lebensstil bieten kann, den sie nicht gewöhnt ist? Louisa rief mehrmals seinen Namen, erst um ihn höflich zu fragen, dann um ihn zurechtzuweisen, weil er nicht antwortete, dann um ihn zu verfluchen, weil er nicht da war.
»Scheißkerl, Harry Pendel! Scheißkerl, Scheißkerl, Scheißkerl! Wo auch immer du steckst. Du widerlicher Betrüger !«
Und von da an war alles Scheiße. Das war die Ausdrucksweise ihres Vaters, wenn er einen sitzen hatte, und Louisa empfand töchterlichen Stolz darüber, daß sie, wenn sie selbst einen sitzen hatte, genauso gut fluchen konnte wie ihr Alter.
» He , Lou , Kleines , komm doch mal her . Titan , wo steckst du denn? « – er nennt seine Tochter Titan nach dem riesigen deutschen Kran im Hafen von Gamboa – » Hat ein alter Mann nicht ein bißchen Zuwendung von seiner Tochter verdient? Kannst du deinem alten Herrn nicht mal ein Küßchen geben? Das soll ein Küßchen sein? Scheiße ! Scheiße ! Scheiße !«
Notizen, hauptsächlich über Delgado. Verzerrte Darstellungen von Dingen, über die Harry sie beim Essen ausgefragt hatte, früher, als er noch gern für sie kochte. Mein Delgado. Meine geliebte Vaterfigur, Ernesto, die Verkörperung der Tugendhaftigkeit, und mein Mann macht schmutzige Aufzeichnungen über ihn. Warum? Weil er eifersüchtig auf ihn ist. Das war er schon immer. Er denkt, ich liebe Ernesto mehr als ihn. Er denkt, ich will mit Ernesto ins Bett. Überschriften: Delgados Frauen – was für Frauen? So was tut Ernesto nicht! Delgado und der Präsident – was soll das? Delgados Ansichten über Japaner – Ernesto hat Angst vor ihnen. Meint, sie wollen ihm den Kanal wegnehmen. Und er hat recht. Wieder explodierte sie. Diesmal laut: »Du Scheißkerl, Harry Pendel, das habe ich nie gesagt, das hast du dir ausgedacht! Für wen? Warum ?«
Ein Brief, nicht zu Ende geschrieben, ohne Adresse. Ein Zettel, den er wohl wegwerfen wollte:
Vielleicht interessiert Sie eine aufschlußreiche Bemerkung über unseren Ernie , die Louisa gestern bei der Arbeit aufgeschnappt hat ; sie hielt es für richtig , mir davon Mitteilung zu machen –
Hielt es für richtig ? Ich habe nichts für richtig gehalten. Ich habe ihm bloß ein bißchen Bürotratsch erzählt! Warum, zum Teufel, muß eine Ehefrau es für richtig halten, wenn sie ihrem Mann in ihrem eigenen Haus ein bißchen Bürotratsch über einen freundlichen,
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