Der Schneider
Spuck’s aus! Die Hure atmet, laut und keuchend. Los, los, Sabina, sprich . Sag: »Komm und fick mich, Harry.« Sag: »Ich liebe dich, Harry.« Sag: »Scheiße, wo bleibt mein Geld, warum behältst du’s in der Schublade, ich bin’s, Sabina, die radikale Studentin, ich hänge einsam und allein auf dieser blöden Reisfarm rum.«
Noch mehr Lärm. Krachen und Knattern, wie Motorräder mit Fehlzündung. Rums. Peng. Stell das Wodkaglas hin. Schrei so laut du kannst, im klassisch-amerikanischen Spanisch deines Vaters.
»Wer ist da ? Antworte !«
Warten. Nichts. Winseln, keine Worte. Louisa versucht’s auf Englisch.
»Laß meinen Mann in Ruhe, hörst du mich, Sabina, du dreckige Hure! Sabina , du Miststück ! Und verschwinde von meiner Reisfarm!«
Immer noch nichts.
»Ich bin in seinem Zimmer, Sabina. Ich suche grade nach deinen Briefen an ihn! Ernesto Delgado ist nicht korrupt! Hast du gehört? Das ist eine Lüge. Ich arbeite für ihn. Die anderen sind alle korrupt, aber nicht Ernesto! Sag endlich was!«
Nichts als Donnern und Krachen im Hörer. Gott, was ist das bloß? Die nächste Invasion? Die Hure schluchzt erbärmlich, legt auf. Louisa sieht sich selbst den Hörer auf die Gabel knallen, wie in jedem besseren Film. Setzt sich. Starrt das Telefon an, wartet, daß es wieder klingelt. Es bleibt stumm. Endlich habe ich meiner Schwester den Kopf eingeschlagen. Oder jemand anders hat es getan. Arme kleine Emily. Miststück. Louisa steht auf. Ohne zu schwanken. Nimmt einen ernüchternden Schluck Wodka. Vollkommen klar im Kopf. Pech für dich, Sabina. Mein Mann ist durchgedreht. Und dir geht’s offenbar auch ganz schön dreckig. Geschieht dir recht. Auf Reisfarmen kann’s ziemlich einsam sein.
Bücherregale. Geistige Nahrung. Genau das Richtige für konfuse Gemüter. Sieh in den Büchern nach, ob da die Briefe der Hure an Harry stecken. Neue Bücher an alten Stellen. Alte Bücher an neuen Stellen. Erklär mir das. Harry, um Gottes willen, erklär mir das. Sag’s mir , Harry. Sprich mit mir, Harry. Wer ist Sabina? Wer ist Marco? Warum erfindest du Geschichten über Rafi und Mickie? Warum ziehst du Ernesto in den Dreck?
Pause der Besinnung und des Nachdenkens, in der Louisa Pendel, Brust und Hintern herausgestreckt, in ihrem roten Morgenmantel mit drei Knöpfen und nichts darunter, prüfend an den Bücherregalen ihres Mannes entlanggeht. Sie kommt sich extrem nackt vor. Mehr als nackt. Nackt und stark erregt. Sie würde gern noch ein Kind haben. Am liebsten hätte sie alle von Hannahs Sieben Schwestern, solange keine von ihnen sich als eine zweite Emily entpuppt. Da sind die Bücher ihres Vaters über den Kanal, als erstes die aus der Zeit, als die Schotten in Darién eine Kolonie anzulegen versuchten und dabei die Hälfte ihres Reichtums einbüßten. Sie schlägt eins nach dem andern auf, schüttelt sie so heftig, daß die Einbände knacken, wirft sie gleichgültig beiseite. Keine Liebesbriefe.
Bücher über Captain Morgan und seine Piraten, die Panama City geplündert und niedergebrannt hatten – bis auf die Ruinen, wo wir mit den Kindern zum Picknick hinfahren. Aber keine Liebesbriefe von Sabina oder sonstwem. Keine Briefe von Alpha, Beta, Marco oder dem Bären. Und auch keine von irgendeiner kurvenreichen radikalen Studentin mit verdächtigem Geld aus Amerika. Bücher über die Zeit, als Panama den Kolumbianern gehörte. Aber keine Liebesbriefe, auch wenn sie die Bände noch so fest an die Wand schmeißt.
Louisa Pendel, künftige Mutter von Hannahs Sieben Schwestern, kauert nackt im Innern des Morgenrocks, in dem er’s nie mit mir getrieben hat; die Waden an die Schenkel geschmiegt, stöbert sie in den Büchern über den Bau des Kanals herum und verflucht sich, daß sie diese arme Frau so angebrüllt hat, deren Liebesbriefe sie nicht finden kann und die wahrscheinlich sowieso nicht Sabina gewesen war und nicht von der Reisfarm angerufen hatte. Berichte über reale Männer wie George Goethals und William Crawford Gorgas, Männer, die ebenso solide und konsequent wie übergeschnappt waren, Männer, die ihren Frauen treu waren und keine Briefe schrieben, in denen irgendwer irgend etwas für richtig hielt, Männer, die nicht das Ansehen ihres Arbeitgebers in den Schmutz zogen oder Geldbündel in verschlossenen Schreibtischen aufbewahrten, und erst recht keine Briefbündel, die ich nicht finden kann. Bücher, die ihr Vater ihr in der Hoffnung zu lesen gegeben hatte, daß sie eines Tages ihren eigenen
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