Der Schneider
eins reinzuwürgen, ließ ihn noch konzentrierter zu Werke gehen. Falls sie gekommen war, um sich wieder mit ihm zu vertragen, hatte sie den falschen Mann und den noch falscheren Zeitpunkt gewählt. Und genau das würde er ihr jetzt ohne großes Herumgerede klarmachen. Und daß sie endlich die Pfote von seiner Klingel nehmen sollte.
Nachdem er Luxmore überflüssigerweise gebeten hatte zu bleiben, wo er war, schlich er durchs Eßzimmer auf den Flur, machte die Tür hinter sich zu und blinzelte durch den Spion der Eingangstür. Die Linse war beschlagen. Er wischte sie mit einem Taschentuch auf seiner Seite sauber und starrte in ein verschwommenes Auge undefinierbaren Geschlechts, das wiederum ihn anstarrte, während die Klingel weiterschrillte wie bei Feueralarm. Dann zog sich das Auge zurück, und er erkannte Louisa Pendel: bekleidet mit einer Hornbrille und kaum sonst etwas, balancierte sie auf einem Bein und zog sich den Schuh aus, zweifellos um damit die Tür einzuschlagen.
Louisa konnte sich nicht mehr genau erinnern, welcher Tropfen das Faß zum Überlaufen gebracht hatte. Es war ihr auch egal. Als sie vom Squash zurückgekommen war, hatte sie das Haus leer vorgefunden. Die Kinder waren bei den Rudds zu Besuch und blieben über Nacht. Sie hielt Ramón für eins der großen Scheusale von Panama und hätte die Kinder am liebsten überhaupt nicht in seine Nähe gelassen. Nicht weil Ramón etwas gegen Frauen hatte, sondern weil er immer wieder durchblicken ließ, daß er mehr über Harry wußte als sie selbst, und zwar nur Schlechtes. Und weil er, wie Harry, jedesmal verstummte, wenn sie von der Reisfarm anfing, obwohl die von ihrem Geld gekauft worden war.
Aber das alles erklärte nicht, warum ihr, als sie vom Squash nach Hause kam, so elend zumute war, warum sie ohne jeden Grund in Tränen ausbrach, nachdem sie zehn Jahre oft genug Grund dazu gehabt, das Weinen aber stets unterdrückt hatte. Sie vermutete daher, die Verzweiflung müsse sich in ihr aufgestaut haben; und dann kam vor dem Duschen noch ein großer Wodka mit Eis dazu, worauf sie plötzlich Lust hatte. Nach dem Duschen besah sie sich nackt im Schlafzimmerspiegel, von Kopf bis Fuß.
Sei mal sachlich. Vergiß, daß du eins-achtzig bist. Vergiß deine schöne Schwester Emily mit den goldblonden Locken und den hinreißenden Playmate- Titten und ihrer Liste von Eroberungen, die länger ist als das Telefonbuch von Panama City. Würde ich, wenn ich ein Mann wäre, mit einer solchen Frau schlafen wollen oder nicht? Vermutlich schon, aber wie kann ich das wissen? Harry ist ja mein einziger Anhaltspunkt.
Sie stellte die Frage anders. Würde ich an Harrys Stelle nach einem Dutzend Ehejahren noch mit mir schlafen wollen? Und die Antwort lautete: nein, nicht nach dem, was in letzter Zeit vorgefallen ist. Zu müde. Zu spät. Zu beschwichtigend. Zu schuldbewußt. Aber weswegen? Sicher, schuldbewußt war er schon immer. Das war das Beste an ihm. Aber neuerdings trägt er das wie ein Plakat vor sich her: Ich bin fehl am Platz, ich bin unberührbar, ich bin schuldig, ich verdiene dich nicht, gute Nacht.
Mit einer Hand die Tränen abwischend, das Glas in der anderen, ging sie weiter im Schlafzimmer auf und ab, betrachtete sich, haderte mit sich und dachte an Emily, der immer alles perfekt gelang – egal wobei, ob beim Tennisspielen oder Reiten, beim Schwimmen oder Abwaschen, Emily konnte einfach keine häßliche Bewegung machen, selbst wenn sie wollte. Wenn man ihr zusah, konnte man sogar als Frau glatt einen Orgasmus kriegen. Louisa versuchte sich lasziv zu räkeln, die schlimmste Hure aller Zeiten. Von wegen. Krumm und schief. Plump. Kein Hüftschwung. Zu alt. Schon immer gewesen. Zu groß. Angewidert stapfte sie in die Küche und goß sich, noch immer nackt, entschlossen den nächsten Wodka ein, diesmal ohne Eis.
Und zwar einen richtigen, nicht »vielleicht ein kleines Schlückchen«, denn sie mußte erst noch ein Messer suchen und die Versiegelung einer neuen Flasche aufschlitzen, bevor sie sich etwas einschenken konnte, und so etwas tut man nicht, wenn man sich nur beiläufig, eher zufällig einen Schluck eingießt, um nicht den Mut zu verlieren, während der Ehemann gerade seine Geliebte vögelt.
»Scheißkerl«, sagte sie laut.
Die Flasche stammte aus Harrys neuem Gästevorrat. Absetzbar, sagte er.
»Absetzbar? Bei wem?« wollte sie wissen.
»Bei der Steuer«, sagte er.
»Harry, ich will nicht, daß mein Haus als steuerfreie Kneipe benutzt
Weitere Kostenlose Bücher