Der Schneider
wird.«
Schuldbewußtes Grinsen. Bedaure, Lou. So läuft das nun mal. Wollte dich nicht beunruhigen. Soll nicht wieder vorkommen. Was für ein Kriecher.
»Scheißkerl«, wiederholte sie und fühlte sich gleich besser.
Und scheiß auch auf Emily, denn ohne Emily als Konkurrentin hätte ich niemals die Rolle der Moralapostelin übernommen, hätte niemals so getan, als würde ich alles verurteilen, wäre niemals, alle Rekorde brechend, so lange Jungfrau geblieben, bloß um allen zu beweisen, was für ein reines und ernstes Wesen ich im Gegensatz zu meiner bescheuerten schönen Schwester war! Und ich hätte mich nie in jeden Pfarrer unter neunzig verliebt, der in Balboa auf die Kanzel stieg und uns predigte, wir müßten unsere und vor allem Emilys Sünden bereuen; und ich hätte mich niemals als frommen Tugendbold und Richterin über jedermanns schlechtes Betragen aufgespielt, wo ich im Grunde doch auch nur angefaßt und bewundert, verwöhnt und gefickt werden wollte wie alle anderen Frauen.
Und scheiß auch auf die Reisfarm. Meine Reisfarm, zu der Harry mich nicht mehr mitnehmen will, weil er seine verfluchte chiquilla dort untergebracht hat – hier, Darling, stell dich ans Fenster und wart auf mich, bis ich wiederkomme. Scheißkerl. Großer Schluck Wodka. Noch einer. Dann ein riesengroßer Schluck – ah, wie er mir da unten reinfährt! So gestärkt, rauschte sie ins Schlafzimmer zurück, um ihre Verrenkungen um so hemmungsloser fortzusetzen – ist das erotisch? – los, sag’s mir! – oder das? – na schön, wie wär’s dann damit? Aber niemand antwortete. Niemand klatschte, niemand lachte, niemand ließ sich von ihr aufgeilen. Niemand trank mit ihr, niemand entbrannte für sie, niemand küßte sie auf den Hals, niemand redete sie nieder. Kein Harry.
Trotzdem, die Brüste sind für eine Vierzigjährige nicht übel. Besser als die von Jo-Ann, wenn die mal alles auszieht. Nicht so gut wie die von Emily, aber wer kann da schon mithalten? Prost. Prost auf meine Titten. Steht auf, Titten, ich trinke auf euch. Plötzlich setzte sie sich aufs Bett, stützte das Kinn in die Hände und starrte das Telefon an, das auf Harrys Seite klingelte.
»Fick dich ins Knie«, sagte sie zu dem Apparat.
Und um dem größeren Nachdruck zu verleihen, hob sie den Hörer kurz an, schrie »Fick dich ins Knie« und legte wieder auf.
Aber wer Kinder hat, nimmt am Ende doch immer ab.
»Ja? Wer ist denn da? « schreit sie, als es wieder klingelt.
Es ist Naomi, Panamas Fehlinformationsministerin, die ihr die neueste Skandalgeschichte mitteilen will. Gut. Dieses Gespräch ist schon seit langem überfällig.
»Naomi, freut mich, daß du anrufst, ich wollte dir eigentlich schreiben, aber jetzt kann ich mir die Briefmarke sparen. Naomi, verschwinde aus meinem Leben. Nein nein, du hörst mir jetzt zu, Naomi. Naomi, solltest du zufällig durch den Vasco Nuñez de Balboa Park kommen und dort meinen Mann auf dem Rücken liegen sehen, wie er sich grade von Barnums kleinen Elefanten oral befriedigen läßt, kannst du das gern deinen zwanzig besten Freundinnen erzählen, aber nicht mir! Ich will deine Stimme nicht mehr hören, nie, nie mehr, du Miststück! Gute Nacht, Naomi.«
Das Wasserglas in der Hand, zieht Louisa einen roten Morgenrock an, den Harry ihr kürzlich mitgebracht hat – drei große Knöpfe, der Ausschnitt nach Lust und Laune verstellbar –, dann holt sie Hammer und Meißel aus der Garage und geht über den Hof zu Harrys Arbeitszimmer, das er neuerdings immer abgeschlossen hat. Großartiger Himmel. Einen so schönen Himmel hat sie seit Wochen nicht mehr gesehen. Sterne, von denen wir unseren Kindern früher erzählt haben. Das ist Orions Gürtel mit dem Schwert, Mark. Und das sind deine Sieben Schwestern, Hannah, von denen du immer geträumt hast. Der Neumond, anmutig wie ein Fohlen.
Hier schreibt er ihr also, denkt sie, als sie sich der Tür seines Heiligtums nähert. An meine geliebte chiquilla , wohnhaft auf der Reisfarm meiner Frau. Louisa hat ihn stundenlang durch das beschlagene Fenster ihres Badezimmers beobachtet, seine Silhouette am Schreibtisch, den Kopf schräg zur Seite und die Zunge zwischen den Lippen, wie er Liebesbriefe schrieb – dabei ist ihm das Schreiben nie leichtgefallen, das war eins der Dinge, die Arthur Braithwaite, der größte Heilige seit Laurentius, in der Erziehung seines Pflegekindes vernachlässigt hatte.
Die Tür ist, wie sie vorausgesehen hat, abgeschlossen, stellt aber kein Problem
Weitere Kostenlose Bücher