Der Schneider
alles, was geschehen war, ungeschehen zu machen, und als Osnard jetzt keinen halben Meter von ihrem Ohr entfernt ins Telefon sprach, war es ihr vollkommen unmöglich, über sein abscheuliches Englisch hinwegzuhören, und wenn sie sich noch so viele Kissen über den Kopf gezogen hätte, ja sie hörte sogar die verschlafen wirre Stimme mit schottischem Akzent am anderen Ende der Leitung wie letzte Durchsagen aus einem defekten Radio.
»Es haben sich leider einige beunruhigende Neuigkeiten ergeben, Sir.«
»Beunruhigend? Was denn?« Die schottische Stimme klang jetzt munterer.
»Es geht um unser griechisches Schiff.«
»Griechisches Schiff? Was für ein griechisches Schiff? Wovon reden Sie eigentlich, Andrew?«
»Unser Flaggschiff, Sir. Das Flaggschiff der Stillen Linie.«
Lange Pause.
»Verstehe, Andrew! Der Grieche, mein Gott! Schon kapiert. Und wo ist das Problem?«
»Anscheinend ist es gesunken, Sir.«
»Gesunken? Wie das?«
»Untergegangen.« Pause, um das Wort wirken zu lassen. »Totalschaden. Irgendwo im Westen. Die näheren Umstände sind noch unklar. Ich habe einen Schriftsteller hingeschickt, der das recherchieren soll.«
Verdutztes Schweigen an beiden Enden der Leitung.
»Schriftsteller?«
»Einen berühmten.«
»Verstehe! Schon kapiert. Der Bestsellerautor aus vergangenen Zeiten. Genau. Sagen Sie nichts mehr. Untergegangen. Wie denn, Andrew? Richtig untergegangen oder was?«
»Nach ersten Berichten wird das Schiff nie wieder in See stechen.«
»Gott! Gott! Wer hat das getan, Andrew? Ich wette, das war diese Frau. Der würde ich alles zutrauen. Nach gestern abend.«
»Auf nähere Einzelheiten werden wir leider noch warten müssen. Sir.«
»Und die Mannschaft? – die Schiffskameraden, verdammt – die Stillen Freunde – sind die mit untergegangen?«
»Das wird sich noch herausstellen. Am besten fliegen Sie wie geplant nach London zurück, Sir. Ich melde mich dann bei Ihnen.«
Er legte auf und riß ihr das Kissen vom Kopf. Und obwohl sie die Augen fest zugekniffen hatte, sah sie seinen fülligen jungen Körper unbekümmert neben sich liegen, sah sie seinen trägen aufgedunsenen Penis schon wieder zum Leben erwachen.
»Dieses Gespräch hat nie stattgefunden«, sagte er zu ihr. »Ist das klar?«
Sie wandte sich entschlossen von ihm ab. Gar nichts war klar.
»Dein Mann ist ein tapferer Bursche. Er hat Befehl, dir kein Wort davon zu erzählen. Er wird sich dran halten. Ich auch.«
»Tapfer? Wieso?«
»Irgendwelche Leute erzählen ihm was. Er erzählt es uns. Was er nicht direkt erfährt, versucht er herauszufinden, oft mit erheblichem Risiko. Vor kurzem ist er auf eine große Sache gestoßen.«
»Hat er deswegen meine Papiere fotografiert?«
»Wir haben Delgados Terminkalender gebraucht. Es gibt gewisse Lücken in seiner Biografie.«
»Da gibt’s überhaupt keine Lücken. Höchstens wenn er zur Messe geht oder sich um Frau und Kinder kümmert. Eins seiner Kinder ist im Krankenhaus. Sebastian.«
»Hat Delgado dir erzählt.«
»Aber das stimmt. Hör auf mit diesem Quatsch. Macht Harry das für England?«
»Für England, Amerika, Europa. Für die zivilisierte freie Welt. Und so weiter.«
»Dann ist er bescheuert. Und England auch. Und die zivilisierte freie Welt auch.«
Es kostete sie einige Zeit und Mühe, aber schließlich gelang es ihr. Sie stützte sich auf den Ellbogen, drehte sich um und sah auf ihn hinunter.
»Ich glaube dir kein einziges Wort«, sagte sie. »Du bist ein schmieriger englischer Gauner, lügst mir die Hucke voll, und Harry hat den Verstand verloren.«
»Du brauchst mir nicht zu glauben. Aber halt wenigstens den Mund.«
»Das ist doch alles Unsinn. Er denkt sich das nur aus. Du auch. Ihr wollt uns alle bloß verarschen.«
Das Telefon klingelte, ein anderes Telefon, das sie bis dahin nicht bemerkt hatte, obwohl es an einen Minikassettenrecorder angeschlossen war und auf ihrer Seite des Betts neben der Leselampe stand. Osnard wälzte sich ruppig über sie hinweg und packte den Hörer, und sie hörte ihn nur noch »Harry« sagen, bevor sie sich hastig die Ohren zuhielt und die Augen zukniff, und ihr Gesicht zu einer starren abweisenden Grimasse gefror. Aber eine Hand hielt nicht ganz dicht. Und so hörte sie durch das Protestgeschrei in ihrem Kopf die Stimme ihres Mannes:
»Mickie ist ermordet worden, Andy«, teilte Harry ihm mit. Er sprach bedächtig und gut vorbereitet, aber wie unter Zeitdruck. »Allem Anschein nach von Profis erschossen, mehr kann ich noch
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