Der Schneider
nicht sagen. Aber wie ich höre, sind weitere derartige Aktionen geplant, und deshalb sollten sich alle Beteiligten vorsehen. Rafi ist bereits nach Miami abgereist, die anderen werde ich wie besprochen benachrichtigen. Die Studenten machen mir Sorge. Ich weiß nicht, wie wir sie aufhalten können, die Flottille zu alarmieren.«
»Wo sind Sie?« fragte Osnard.
Es folgte eine Pause, in der Louisa selbst ein paar Fragen an Harry hätte richten können – etwa: »Liebst du mich noch?« – oder »Kannst du mir verzeihen?« – oder »Wirst du es mir auch anmerken, wenn ich dir nichts davon erzähle?« – oder »Warm kommst du heute abend nach Hause, und soll ich was einkaufen, damit wir zusammen essen können?« Aber während sie sich noch für eine dieser Fragen zu entscheiden versuchte, brach die Verbindung ab, und dann sah sie Osnard, der, sich auf die Ellbogen stützend, über ihr schwebte: seine Wangen hingen schlaff herab, sein kleiner feuchter Mund stand offen, aber er hatte offenbar nicht die Absicht, mit ihr zu schlafen, denn zum erstenmal in ihrer kurzen Bekanntschaft schien er nicht mehr weiter zu wissen.
»Was war das denn?« fragte er, als sei sie zumindest teilweise dafür verantwortlich.
»Harry«, sagte sie benommen.
»Welcher?«
»Deiner, nehme ich an.«
Er ließ sich keuchend neben ihr auf den Rücken fallen und verschränkte die Hände hinterm Kopf, als sei er auf einem Nudistenstrand und lege eine kurze Pause ein. Dann griff er von neuem zum Telefon, nahm aber nicht das, an dem er mit Harry gesprochen hatte, sondern das andere, wählte und verlangte dann einen Señor Mellors in Zimmer soundso zu sprechen.
»Anscheinend handelt es sich um Mord«, sagte er ohne Einleitung, woraus sie schloß, daß er wieder mit diesem Schotten von vorhin sprach. »Sieht aus, als könnten die Studenten aus der Reihe tanzen … sind eine Menge Emotionen im Spiel … sehr angesehener Mann … Professionelle Arbeit. Einzelheiten folgen. Unser Vorwand? Wie meinen Sie das? Versteh ich nicht, Sir. Vorwand wofür? Nein, natürlich nicht. Verstehe. Sobald ich kann, Sir. Auf der Stelle.«
Dann sortierte er offenbar erst einmal seine Gedanken, er schnaubte und lachte ein paarmal grimmig auf, und dann saß er plötzlich auf der Bettkante. Schließlich erhob er sich, ging ins Eßzimmer und kam mit seinen zusammengeknüllten Kleidern wieder zurück. Er zog das Hemd vom vorigen Abend aus dem Knäuel und streifte es über.
»Wo willst du hin?« fragte sie. Und als er nicht antwortete: »Was hast du vor? Andrew, du kannst doch nicht einfach aufstehen, dich anziehen und mich ohne Kleider hier sitzenlassen. Wo soll ich denn jetzt hin, ich weiß ja nicht mal …«
Sie verstummte.
»Ja, schade eigentlich, Mädchen. Bißchen abrupt. Muß leider weg. Das heißt wir beide. Zeit nach Hause zu gehen,«
»Nach Hause? Wohin?«
»Du nach Bethania. Ich ins schöne England. Erste Regel unseres Hauses. Geht ein Agent im Einsatz drauf, sucht der Agentenführer schleunigst das Weite. Gehe nicht über Los, ziehe nicht zweihundert Pfund ein. Schnell zurück zu Muttern, auf dem kürzesten Weg.«
Er band sich vorm Spiegel die Krawatte. Das Kinn hochgereckt, wieder quicklebendig. Und flüchtig, kaum einen Moment lang, glaubte Louisa, so etwas wie Gefaßtheit bei ihm zu sehen, daß er eine Niederlage hinnahm, was bei schlechtem Licht betrachtet als Edelmut hätte gelten können.
»Grüß bitte Harry von mir, ja? Ein großer Künstler. Mein Nachfolger wird sich bei ihm melden. Oder auch nicht.« Immer noch in Hemdsärmeln, zog er eine Schublade auf und warf ihr einen Trainingsanzug hin. »Zieh dir das fürs Taxi an. Wenn du nach Hause kommst, verbrenn das Ding und verstreu die Asche. Und bleib für ein paar Wochen in Deckung. Unsere Leute zu Hause rühren die Kriegstrommel.«
Hatry, der große Pressezar, war gerade beim Lunch, als ihn die Nachricht ereilte. Er saß an seinem gewohnten Tisch im Connaught, aß Nieren mit Speck, trank Rotwein des Hauses und trug seine Ansichten über das neue Rußland vor, die darauf hinausliefen, daß er sich um so mehr freute, je mehr diese Schweinehunde sich gegenseitig zerfleischten.
Sein Zuhörer war, welch glücklicher Zufall, Geoff Cavendish, und Überbringer der Neuigkeit war kein Geringerer als der junge Johnson, Osnards Ersatzmann in Luxmores Büro. Zwanzig Minuten zuvor hatte er die dringende Meldung der Britischen Botschaft – verfaßt von Botschafter Maltby persönlich – aus dem Stapel von
Weitere Kostenlose Bücher