Der Schneider
bin aufgeschmissen.«
»Mickie.«
»Was?«
»Wo ist Ana?«
Ana war Mickies derzeitige chiquilla , eine kräftige, praktisch denkende Kindheitsfreundin Martas aus la Cordillera, die Mickie so wie er war zu akzeptieren schien. Marta hatte sie miteinander bekannt gemacht.
»Hallo, Harry«, sagte Ana gutgelaunt, was Pendel ebenso gutgelaunt mit »Hallo« erwiderte.
»Wieviel hat er getrunken, Ana?«
»Das weiß ich nicht. Er sagt, er ist mit Rafi Domingo ins Kasino gegangen. Hat ein bißchen Wodka getrunken, ein bißchen Geld verloren. Vielleicht auch ein bißchen gekokst, er weiß es nicht mehr. Er schwitzt entsetzlich. Soll ich einen Arzt holen?«
Bevor Pendel ihr antworten konnte, war wieder Mickie am Apparat.
»Harry, ich liebe dich.«
»Das weiß ich, Mickie, und es freut mich sehr, ich liebe dich auch.«
»Hast du auf dieses Pferd gesetzt?«
»Ja, Mickie, ja, ich muß zugeben, ich habe auf dieses Pferd gesetzt.«
»Tut mir leid, Harry. Okay? Tut mir leid.«
»Schon gut, Mickie. Ist ja kein Beinbruch. Nicht jedes gute Pferd kann gewinnen.«
»Ich liebe dich, Harry. Du bist mein Freund, ja?«
»Und genau deshalb brauchst du dich auch nicht umzubringen, ist das klar, Mickie?« sagte Pendel liebevoll. »Nicht wenn du Ana und einen guten Freund hast.«
»Soll ich dir was sagen, Harry? Wir verbringen das Wochenende gemeinsam. Du und ich, Ana und Marta. Angeln und bumsen.«
»Nun schlaf dich erst mal gut aus, Mickie«, sagte Pendel fest, »und morgen früh kommst du zur Anprobe in den Laden, und dann können wir die Sache bei einem Sandwich besprechen. Ja? Also bis dann.«
»Wer war das?« fragte Louisa, als er aufgelegt hatte.
»Mickie. Seine Frau hat ihn mal wieder ausgesperrt.«
»Warum?«
»Weil sie eine Affäre mit Rafi Domingo hat«, sagte Pendel, mit der unentrinnbaren Logik des Lebens ringend.
»Warum haut er ihr nicht eins aufs Maul?«
»Wem?« fragte Pendel begriffsstutzig.
»Seiner Frau , Harry. Was dachtest du denn?«
»Er ist müde«, sagte Pendel. »Noriega hat ihm die Lebensgeister rausgeprügelt.«
Hannah stieg zu ihnen ins Bett, gefolgt von Mark und dem riesigen Teddybär, den er schon vor Jahren aufgegeben hatte.
Es war schon morgen, also erzählte er es ihr.
Ich habe es getan, damit man mir glaubt, erzählte er ihr, als sie wieder eingeschlafen war.
Damit du einen Halt hast, wenn du schwach wirst.
Damit du eine feste Schulter hast, an die du dich anlehnen kannst, und nicht bloß mich.
Damit ich ein besserer Mann für die Tochter eines Rauhbeins aus der Zone werde, die den Mund nicht halten kann und durchdreht, wenn sie sich bedroht fühlt, und die Politik der kleinen Schritte vernachlässigt, obwohl ihre Mutter ihr zwanzig Jahre lang eingeschärft hat, wenn sie das jemals täte, werde sie nie einen Mann wie Emily bekommen.
Und sich einbildet, zu häßlich und zu groß zu sein, während alle anderen bezaubernde Schönheiten sind und die richtige Größe haben, wie Emily.
Und die niemals, in Millionen Jahren nicht, nicht einmal im verletzlichsten und unsichersten Augenblick ihres Lebens, nicht einmal um Emily eins auszuwischen, Onkel Bennys Lagerhaus, beginnend bei den Sommerkleidern, ihm zu Gefallen in Brand stecken würde.
Pendel sitzt im Sessel, hüllt sich in eine Tagesdecke und überläßt das Bett denen, die reinen Herzens sind.
»Ich bin den ganzen Tag unterwegs«, sagt er zu Marta, als er am nächsten Morgen in den Laden kommt. »Du wirst die Kundschaft bedienen müssen.«
»Für elf ist der bolivianische Botschafter angemeldet.«
»Verleg den Termin. Ich muß dich unbedingt sprechen.«
»Wann?«
»Heute abend.«
Bis jetzt hatten sie Familienausflüge gemacht, im Schatten der Mangobäume gepicknickt, die träge im heißen Wind treibenden Falken, Fischadler und Geier beobachtet und den Reitern auf weißen Pferden zugesehen, die wie versprengte Reste von Pancho Villas Armee wirkten. Oder sie zogen das Gummiboot durch die überschwemmten Reisfelder, wobei Louisa immer am glücklichsten war, wenn sie in Shorts durchs Wasser waten und sich wie Katharine Hepburn in African Queen fühlen konnte – mit Pendel als Bogart, Mark, der dauernd flehentlich bat, vorsichtig zu sein, und Hannah, die schimpfte, er solle sich nicht so anstellen.
Oder sie fuhren mit dem Geländewagen staubige gelbe Pisten hinunter, und wenn diese wie üblich am Waldrand aufhörten, stieß Pendel zum Entzücken der Kinder das wunderbare Jammergeschrei Onkel Bennys aus und tat, als
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