Der Schneider
Hand, einen Schritt nach vorn. Das silberne Haupt hob sich und blickte in seine Richtung, aber die kornblumenblauen Augen sahen nur die Wand. Das Trio rauschte an ihm vorbei, die Tür des Allerheiligsten fiel zu. Marco kam zurück.
»Sind Sie der Schneider?«
»Das bin ich, Señor Marco, und stehe Seiner Exzellenz zu Diensten.«
»Warten Sie.«
Pendel wartete, wie alle es tun müssen, die nur auf Abruf zur Verfügung stehen. Jahre verstrichen. Dann ging die Tür wieder auf.
»Machen Sie schnell«, befahl Marco.
Fragen Sie nach den fehlenden Stunden in Paris , Tokio und Hongkong .
In einer Ecke des Zimmers hat man einen geschnitzten goldenen Wandschirm aufgestellt. Vergoldete Gipsleisten zieren die durchbrochenen Ecken. Goldene Rosen ranken sich um die Stangen. Im Gegenlicht des Fensters steht seine Transparenz königlich im schwarzen Jackett und der gestreiften Hose vor dem Wandschirm. Die Handfläche des Präsidenten ist so weich wie die einer alten Dame, nur größer. Als er die seidigen Polster berührt, muß Pendel an seine Tante Ruth denken, wie sie das Hühnerfleisch für die Sonntagssuppe hackte, während Benny am Klavier »Celeste Aida« sang.
»Willkommen daheim, Sir, nach Ihrer beschwerlichen Reise«, quetscht Pendel halb erstickt hervor.
Aber es bleibt ungewiß, ob der Größte Aller Staatenlenker die ganze Bedeutung dieser strangulierten Begrüßung überhaupt wahrnimmt, denn Marco hat ihm ein schnurloses rotes Telefon gereicht, in das er bereits hineinspricht.
»Franco? Lassen Sie mich damit in Ruhe. Sagen Sie ihr, sie soll sich einen Anwalt nehmen. Wir sehen uns heute abend auf dem Empfang. Sprechen Sie mich dann darauf an.«
Marco trägt das rote Telefon weg. Pendel öffnet seinen Koffer. Kein Phantasiekostüm, sondern ein halbfertiger Frack mit diskret verstärkten Brusteinsätzen, die das Gewicht der zwanzig Orden tragen sollen, ruht wohlgefaltet in dem mit parfümiertem Tuch ausgeschlagenen Sarg. Die Jungfrau zieht sich schweigend zurück, als der Herr der Welt hinter den goldenen Wandschirm mit den verspiegelten Innenseiten tritt. Der kunstvolle Gegenstand steht schon lange im Palast. Das von seinem Volk so geliebte Silberhaupt verschwindet und taucht wieder auf, als der Präsident die Hose auszieht.
»Wenn Seine Exzellenz die Güte hätten«, murmelt Pendel.
Eine Präsidentenhand erscheint am Rand des goldenen Wandschirms. Pendel legt die geheftete schwarze Hose über den Präsidentenarm. Arm und Hose verschwinden. Telefone klingeln. Fragen Sie nach den fehlenden Stunden.
»Der spanische Botschafter, Exzellenz«, ruft Marco vom Schreibtisch. »Er bittet um eine Privataudienz.«
»Sagen Sie ihm: morgen abend nach den Taiwanesen.«
Pendel steht dem Herrn des Universums auf Tuchfühlung gegenüber: dem Großmeister am politischen Schachbrett Panama, dem Mann, der die Schlüssel zu einem der zwei wichtigsten Verkehrswege der Welt in der Hand hält, der über die Zukunft des Welthandels und das globale Gleichgewicht der Kräfte im 21. Jahrhundert entscheiden kann. Als Pendel zwei Finger in den Hosenbund des Präsidenten schiebt, verkündet Marco den nächsten Anrufer, einen gewissen Manuel.
»Sagen Sie ihm: Mittwoch«, entgegnet der Präsident über den Wandschirm hinweg.
»Vor- oder nachmittags?«
»Nachmittags«, antwortet der Präsident.
Sein Taillenumfang ist schwer zu fassen. Wenn die Hose im Schritt richtig sitzt, ist sie zu lang. Als Pendel sie hochzieht, kommen die Unterschenkel über den Seidensöckchen des Präsidenten zum Vorschein, und einen Augenblick lang sieht der große Mann wie Charlie Chaplin aus.
»Manuel sagt, nachmittags geht, aber dann höchstens über neun Löcher«, gibt Marco seinem Gebieter streng zu bedenken.
Plötzlich regt sich nichts mehr. Mitten in der Hektik hat sich, wie Pendel es Osnard gegenüber formulierte, ein wundersamer Friede auf das Allerheiligste gesenkt. Niemand spricht. Weder Marco noch der Präsident noch eins seiner vielen Telefone. Der große Spion liegt auf den Knien und steckt das linke Hosenbein des Präsidenten ab, aber sein Kopf läßt ihn nicht im Stich.
»Gestatten Euer Exzellenz mir die Frage, ob Euer Exzellenz auf Ihrer so erfolgreichen Fernostreise auch Gelegenheit hatten, sich zu entspannen, Sir? Vielleicht ein wenig Sport? Ein Spaziergang? Ein bißchen Shopping, wenn ich mir die Frage erlauben darf?«
Und immer noch läutet kein Telefon, nichts stört den wundersamen Frieden, während der Hauptakteur im globalen
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