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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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stimmt. Was stört Sie da noch?«
    »Ganz und gar nichts, Andy.«
    »Und?«
    Mickie ist mein Freund, dachte er. Mickie hat schon genug Widerstand geleistet, er hat das nicht mehr nötig. Weder heimlich noch sonstwie.
    »Ich werde darüber nachdenken, Andy.«
    »Fürs Denken werden wir nicht bezahlt, Harry.«
    »Trotzdem, Andy, so bin ich nun mal.«
    Osnard hatte sich für diesen Abend noch etwas vorgenommen, aber das bekam Pendel nicht gleich mit, denn er dachte jetzt an einen Gefängniswärter namens Friendly, der die hohe Kunst beherrscht hatte, einem den Ellbogen in die Eier zu rammen. An den erinnerst du mich, dachte er. Friendly.
     
    »Donnerstags bringt Louisa doch immer Arbeit mit nach Hause, stimmt’s?«
    »Donnerstags, ganz recht, Andy.«
    Osnard hob nacheinander die Schenkel von seinem Schaukelpferd, wühlte in einer Tasche und zog ein prunkvoll vergoldetes Feuerzeug hervor.
    »Geschenk von einem reichen arabischen Kunden«, sagte er und hielt es Pendel hin, der in der Mitte des Zimmers stand. »Londons ganzer Stolz. Probieren Sie’s mal aus.«
    Pendel drückte auf den Hebel, und es ging an. Er ließ den Hebel los, und die Flamme ging aus. Er wiederholte den Vorgang zweimal. Osnard nahm das Feuerzeug wieder entgegen, fummelte an der Unterseite herum und gab es ihm zurück.
    »Jetzt spinxen Sie mal durchs Objektiv«, verlangte er stolz wie ein Zauberer.
     
    Martas winzige Wohnung war Pendels Dekompressionskammer auf dem Weg von Osnard nach Bethania. Marta lag neben ihm, das Gesicht von ihm abgewandt. Das machte sie manchmal.
    »Was haben deine Studenten zur Zeit eigentlich vor?« fragte er ihren langen Rücken.
    » Meine Studenten?«
    »Die Jungs und Mädchen, mit denen ihr, du und Mickie, in den schlimmen Zeiten zusammengesteckt habt. Diese Bombenwerfer, in die du verliebt warst.«
    »In die war ich nie verliebt. Immer nur in dich.«
    »Was ist aus ihnen geworden? Wo sind sie jetzt?«
    »Sind reich geworden, sind keine Studenten mehr. Zur Chase Manhattan gegangen. Mitglied im Club Unión geworden.«
    »Triffst du dich noch mit ihnen?«
    »Manchmal winken sie mir aus ihren teuren Autos zu.«
    »Engagieren sie sich für Panama?«
    »Nicht, wenn sie Konten im Ausland haben.«
    »Und wer bastelt dann heute die Bomben?«
    »Niemand.«
    »Manchmal habe ich das Gefühl, irgendwo braut sich eine Stille Opposition zusammen. Fängt oben an, setzt sich langsam nach unten fort. Eine dieser bürgerlichen Revolutionen, die eines Tages aufflammen und das Land übernehmen werden, wenn niemand damit rechnet. Ein Offiziersputsch ohne Offiziere, falls du mir folgen kannst.«
    »Nein«, sagte sie.
    »Wie: nein?«
    »Nein, es gibt keine Stille Opposition. Es gibt nur Profitdenken. Und Korruption. Und Macht. Und reiche Leute und verzweifelte Leute. Und gleichgültige Leute.« Wieder ihre dozierende Stimme. Ihr pedantischer, trockener Tonfall. Die Wortklauberei der Autodidakten. »Und Menschen, die so arm sind, daß sie nicht mehr ärmer werden können, ohne zu sterben. Und Politik. Politik ist doch nichts als Betrug. Ist das für Mr. Osnard bestimmt?«
    »Das wäre es, wenn er so was hören wollte.«
    Ihre Hand fand seine und führte sie an ihre Lippen, und sie küßte sie schweigend, einen Finger nach dem anderen.
    »Zahlt er dir viel dafür?« fragte sie.
    »Ich kann ihm nicht liefern, was er haben will. Ich weiß nicht genug.«
    »Niemand weiß genug. Dreißig Leute entscheiden, wie es mit Panama weitergehen wird. Die anderen zweieinhalb Millionen läßt man im Ungewissen.«
    »Was würden deine alten Studentenfreunde denn machen, wenn sie nicht zur Chase Manhattan gegangen wären und nicht mit dicken Autos rumfahren würden?« fragte Pendel. »Was würden sie machen, wenn sie militant geblieben wären? Was wäre die logische Fortsetzung? Angenommen, sie hätten heute noch dieselben Ziele für Panama wie damals?«
    Sie dachte nach, es dauerte, bis sie seine Frage erfaßt hatte. »Du meinst: um Druck auf die Regierung auszuüben? Um sie in die Knie zu zwingen?«
    »Ja.«
    »Als erstes stürzen wir das Land ins Chaos. Willst du das?«
    »Vielleicht. Wenn es nötig ist.«
    »Und ob es nötig ist. Chaos ist eine Vorbedingung für demokratisches Bewußtsein. Wenn die Arbeiter erst einmal merken, daß sie führerlos sind, werden sie Führer aus den eigenen Reihen wählen, worauf die Regierung aus Angst vor einer Revolution zurücktritt. Willst du, daß die Arbeiter ihre Führer selbst wählen?«
    »Am liebsten wäre mir, sie

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