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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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kibitzer war, ein stets zu Scherzen aufgelegter Mensch, und weil er den Tisch für die gemeinsamen Mahlzeiten mit dem Besten deckte, was das Haus zu bieten hatte: Silberbesteck, Porzellangeschirr und Stoffservietten, niemals Papierservietten. Und weil er die Wutanfälle ertrug, die sie wie unerwünschte Gäste aus der Vergangenheit heimsuchten; sie konnte nur abwarten, bis sie von selbst vorübergingen oder aber ihr Mann mit ihr schlief – das war bei weitem die beste Lösung, denn ihre Begierden standen denen ihrer Schwester kaum nach, auch wenn sie nicht so gut aussah und nicht so verworfen war, ihnen freien Lauf zu lassen. Und es erfüllte sie mit tiefer Scham, daß sie mit seinen Witzen nicht mithalten, ihm nicht das gelöste Lachen schenken konnte, nach dem er sich so sehnte; denn auch wenn Harry sich Mühe gab, es zu befreien, klang ihr Lachen doch stets noch so wie das ihrer Mutter, und das galt auch für ihre Gebete, und ihre Wut glich der ihres Vaters.
    Sie liebte in Harry das Opfer und den willensstarken Überlebenskämpfer, der lieber jede Entbehrung auf sich genommen hatte, als die kriminellen Machenschaften seines gemeinen Onkels Benny zu unterstützen, bis schließlich der große Mr. Braithwaite gekommen war und ihn gerettet hatte, so wie später Harry selbst gekommen war, um sie vor ihren Eltern und aus der Kanalzone zu retten und ihr ein neues, freies, anständiges Leben zu bieten, fern von allem, was sie bis dahin unterdrückt hatte. Und sie liebte den einsamen Entscheider in ihm, der mit widersprüchlichen Glaubensrichtungen kämpfte, bis Braithwaites kluger Rat die an keine Konfession gebundene Moralität in ihm weckte, die dem von ihrer Mutter verfochtenen Kooperativen Christentum so ähnlich war, das Louisa als Kind jahrelang von der Kanzel der Unions-Kirche in Balboa hatte predigen hören.
    Für all diese Wohltaten dankte sie Gott und Harry Pendel und verfluchte ihre Schwester Emily. Louisa glaubte aufrichtig, daß sie ihren Mann in allen seinen Stimmungen und Eigenarten liebte, aber so hatte sie ihn noch nie erlebt, und ihr war ganz schlecht vor Angst.
     
    Wenn er sie nur schlagen würde, wenn es das war, was er nötig hatte. Wenn er sie prügeln, sie anbrüllen, sie in den Garten zerren würde, wo die Kinder nichts mitbekämen, wenn er sagen würde: »Louisa, es ist aus mit uns, ich verlasse dich, ich hab eine andere.« Wenn es ihm darum ginge. Alles, absolut alles wäre besser als dieses fade Geheuchel, mit ihrem Leben sei alles in Ordnung, nichts habe sich geändert, außer daß er um neun Uhr abends mal eben losziehen und bei einem geschätzten Kunden Maß nehmen mußte, um drei Stunden später zurückzukommen und zu fragen, ob sie nicht mal die Delgados zum Essen einladen sollten? Und warum nicht auch gleich die Oakleys und Rafi Domingo? Jeder Idiot hätte mit einem Blick erkannt, daß so etwas nur in einer Katastrophe enden konnte, aber der Graben, der sich in letzter Zeit zwischen ihr und Harry aufgetan hatte, hielt sie davon ab, ihm das zu sagen.
     
    Also hielt Louisa den Mund und lud Ernesto vorschriftsmäßig ein. Eines Abends, als er gerade nach Hause gehen wollte, drückte sie ihm den Umschlag in die Hand; er nahm ihn beiläufig an, glaubte wohl, sie wolle ihn damit an irgend etwas erinnern, Ernesto war ja immer so in seine Träume und Pläne vertieft, so mit seinem täglichen Kampf gegen die Lobbyisten und Intriganten beschäftigt, daß er manchmal kaum noch wußte, auf welchem Kontinent er gerade war, von der Tageszeit ganz zu schweigen. Doch als er am nächsten Morgen kam, war er die Höflichkeit selbst, wie stets ein echter spanischer Gentleman, und ja, er und seine Frau würden gerne kommen, sofern es Louisa nicht störte, daß sie nicht lange bleiben könnten; Isabel, seine Frau, mache sich Sorgen wegen ihres Sohnes Jorge und seiner Augenentzündung, die ihn manchmal nächtelang nicht schlafen lasse.
    Danach schickte sie eine Karte an Rafi Domingo, wußte aber, daß seine Frau nicht mitkommen würde, denn das tat sie nie; in dieser Ehe stand es nicht zum Besten. Und natürlich kam am nächsten Tag ein riesiger Rosenstrauß, der mindestens fünfzig Dollar gekostet hatte, und auf die mit einem Rennpferd geschmückte Karte hatte Rafi persönlich geschrieben, er sei entzückt, ja hingerissen, meine liebe Louisa, nur seine Frau werde leider verhindert sein. Und Louisa wußte genau, was die Blumen sagen sollten, denn keine Frau unter achtzig war vor Rafis Avancen sicher, und es

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