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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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würden Mickie wählen«, sagte Pendel, aber sie schüttelte den Kopf
    »Nicht Mickie.«
    »Na gut, also ohne Mickie.«
    »Als erstes würden wir zu den Fischern gehen. Das hatten wir immer geplant, aber nie getan.«
    »Warum ausgerechnet zu den Fischern?«
    »Damals, als Studenten, haben wir gegen Atomwaffen gekämpft. Es hat uns empört, daß nukleares Material durch den Panamakanal transportiert wurde. Wir haben geglaubt, solche Frachten seien für Panama gefährlich und außerdem eine Beleidigung für unsere nationale Souveränität.«
    »Und was könnten die Fischer dagegen unternehmen?«
    »Wir wollten zu ihren Gewerkschaften und zu ihren Vorarbeitern gehen. Falls sie uns abweisen würden, wollten wir uns an die kriminellen Elemente an der Küste wenden, die für Geld zu allem bereit sind. Manche unserer Studenten waren damals ziemlich reich. Reiche Studenten mit kritischem Bewußtsein.«
    »Also Leute wie Mickie«, gab Pendel zu bedenken, aber wieder schüttelte sie den Kopf,
    »Wir wollten ihnen sagen: ›Trommelt alles zusammen, alle Dampfer und Kutter und Jollen, die ihr kriegen könnt, nehmt Lebensmittel und Wasser an Bord und fahrt damit zur Bridge of the Americas. Geht unter der Brücke vor Anker und gebt öffentlich bekannt, daß ihr vorhabt, dort zu bleiben. Viele der großen Frachtschiffe brauchen eine volle Meile zum Bremsen. Nach drei Tagen gibt es vor dem Kanaleingang schon einen Stau von zweihundert Schiffen. Nach zwei Wochen sind es bereits tausend. Tausend weitere werden umgeleitet, bevor sie Panama erreichen, sie bekommen andere Fahrtrouten angewiesen oder werden nach Hause zurückgeschickt. Es kommt zu einer Krise, die Börsen geraten weltweit in Panik, die Yanquis drehen durch, die Schiffahrtsindustrie verlangt Taten, der Balboa stürzt in den Keller, die Regierung scheitert, und nie mehr wird nukleares Material durch den Kanal befördert werden.‹«
    »Ehrlich gesagt, an nukleares Material habe ich jetzt eigentlich nicht gedacht, Marta.«
    Sie stützte sich auf einen Ellenbogen, ihr zerschlagenes Gesicht war dicht neben dem seinen.
    »Hör zu. Panama versucht der Welt schon heute zu beweisen, daß es den Kanal genauso gut verwalten kann wie die Gringos. Nichts darf den Kanalbetrieb stören. Keine Streiks, keine Unterbrechungen, keine Unzulänglichkeiten, keine Stümperei. Wenn die panamaische Regierung den Kanalbetrieb nicht vernünftig aufrechterhalten kann, wie will sie dann abkassieren, die Gebühren erhöhen, Konzessionen verkaufen? Sobald die internationalen Banken es mit der Angst zu tun bekommen, geben uns die rabiblancos alles, was wir verlangen. Und wir werden alles verlangen. Für unsere Schulen, unsere Straßen, unsere Krankenhäuser, unsere Bauern und unsere Armen. Sollten sie versuchen, unsere Boote zu beseitigen, uns mit Waffengewalt oder Geld zur Aufgabe zu bewegen, dann wenden wir uns an die neuntausend panamaischen Arbeiter, die täglich für den reibungslosen Betrieb des Kanals gebraucht werden. Und dann fragen wir sie: Auf welcher Seite der Brücke steht ihr? Seid ihr Bürger von Panama, oder seid ihr Sklaven der Yanquis? Das Streikrecht ist in Panama heilig. Wer sich einem Streik widersetzt, ist ein Ausgestoßener. Manche Regierungsvertreter sind inzwischen der Meinung, das panamaische Arbeitsrecht dürfe nicht auf den Kanal angewendet werden. Das wollen wir ja mal sehen.«
    Sie lag flach auf ihm, ihre braunen Augen waren so nahe vor den seinen, daß er nichts anderes mehr sah.
    »Danke«, sagte er und küßte sie.
    »Gern geschehen.«

9
    Louisa Pendel liebte ihren Mann mit einer Inbrunst, die nur Frauen verstehen können, die selbst erfahren haben, was es heißt, in die umhätschelte Gefangenschaft bigotter Eltern hineingeboren zu sein und eine schöne ältere Schwester zu haben, die einen halben Kopf kleiner ist als man selbst, die immer alles richtig macht, zwei Jahre bevor man selbst es falsch macht, die einem die Freunde ausspannt, auch wenn sie nicht mit jedem ins Bett geht, aber doch mit den meisten, und die einen geradezu zwingt, den edlen Pfad des Puritanismus einzuschlagen, weil überhaupt keine andere Reaktion möglich ist.
    Sie liebte ihn wegen seiner unentwegten Hingabe an sie und die Kinder, sie liebte ihn, weil er so strebsam war wie ihr Vater, weil er eine vornehme englische Firma, die von jedermann für tot erklärt worden war, wiederaufgebaut hatte, weil er sonntags in seiner gestreiften Schürze Hühnersuppe und lockschen zubereitete, weil er ein

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