Der Schneider
ging das Gerücht, er trage keine Unterhosen mehr, um seinen Zeit- und Bewegungsquotienten zu verbessern. Und schmachvoll genug: in ehrlichen Momenten, und die hatte sie nach zwei, drei Wodka nicht selten, fand auch Louisa ihn beunruhigend attraktiv. Und schließlich rief sie Donna Oakley an, eine unangenehme Aufgabe, die sie mit Bedacht bis zuletzt aufgeschoben hatte. »Ja, Scheiße, Louisa«, sagte Donna, »natürlich kommen wir gern.« Exakt Donnas Niveau. Was für eine Gesellschaft.
Der gefürchtete Tag war da, und Harry kam ausnahmsweise einmal früh nach Hause, bewaffnet mit einem Paar Porzellankerzenständer von Ludwig zu dreihundert Dollar und französischem Champagner von Motta und einem halben Räucherlachs von irgendwo anders. Eine Stunde später erschienen, angeführt von einem anmaßenden argentinischen Gigolo, die Angestellten einer noblen Partyfirma und übernahmen Louisas Küche, weil Harry die eigenen Dienstboten für unzuverlässig hielt. Dann machte Hannah ein gräßliches Theater, das Louisa sich nicht erklären konnte – willst du nicht nett zu Mr. Delgado sein, Liebes? Schließlich ist er Mamis Chef und ein guter Freund des Präsidenten von Panama. Und er wird den Kanal für uns retten, und, ja, auch Anytime Island. Und, nein , Mark, du wirst ihnen nicht »Lazy Sheep« auf der Geige vorspielen, das wäre einfach nicht angebracht. Mr. und Mrs. Delgado würden es vielleicht zu schätzen wissen, aber die anderen Gäste bestimmt nicht.
Dann kommt Harry dazu und sagt, ach Louisa, was soll das, laß es ihn doch vorspielen, aber Louisa ist unerbittlich und fängt einen ihrer Monologe an, es strömt nur so aus ihr heraus, sie hat keine Gewalt darüber, sie kann sich nur selbst zuhören und stöhnen: Harry, ich verstehe wirklich nicht, warum du mir jedesmal dazwischenfunken mußt, wenn ich meinen Kindern eine Anweisung gebe, bloß um zu zeigen, daß du hier der Herr im Hause bist. Worauf Hannah den nächsten Schreikrampf bekommt und Mark sich in sein Zimmer einschließt und so lange »Lazy Sheep« spielt, bis Louisa an seine Tür hämmert und sagt: »Mark, die Gäste müssen jetzt jeden Augenblick hier sein«, womit sie recht hat, denn da läutet es auch schon an der Haustür, und es tritt auf: Rafi Domingo mit seiner Bodylotion und seinem anzüglichen Grinsen und seinen Koteletten und Krokoschuhen – auch Harrys gesamte Schneiderkunst konnte ihn nicht davor bewahren, daß er wie der schmierigste Südländer aussieht; allein seine Pomade wäre für ihren Vater Grund genug gewesen, ihn auf der Stelle aus der Hintertür zu weisen.
Und unmittelbar nach Rafi erschienen die Delgados und die Oakleys, ein Beweis dafür, wie gezwungen die ganze Angelegenheit war, denn in Panama ist niemand pünktlich, es sei denn, es handle sich um einen formellen Anlaß, und plötzlich war man schon mittendrin, und Ernesto saß zu ihrer Rechten und gab sich ganz als der weise, gute Mandarin, der er war: Danke, nur Wasser, Louisa, meine Liebe, tut mir leid, aber ich trinke ja nicht viel; worauf Louisa, der es nach zwei heimlich im Bad genossenen Doppelten schon besser geht, antwortet, ehrlich gesagt, sie auch nicht, sie finde immer, Trinken verderbe jeden netten Abend. Aber Mrs. Delgado, die am anderen Ende des Tischs rechts neben Harry sitzt, bekommt das zufällig mit und setzt ein seltsames ungläubiges Lächeln auf, als habe sie sich verhört.
Unterdessen ist Rafi Domingo zu Louisas Linken mit zweierlei beschäftigt: entweder preßt er, wann immer sie ihn läßt, einen seiner seidenbestrumpften Füße auf ihren Fuß – er hat zu diesem Zweck den einen Krokodillederschuh abgestreift –, oder er starrt in den Ausschnitt von Donna Oakleys Kleid, das ähnlich geschnitten ist wie Emilys Kleider, die Brüste wie Tennisbälle hochgedrückt und das Dekolleté wie ein Pfeil nach Süden gerichtet, auf das, was ihr Vater, wenn er betrunken war, das Industriegebiet zu nennen pflegte.
»Wissen Sie, was Ihre Frau für mich bedeutet, Harry?« radebrecht Rafi in seinem abscheulichen Spanisch-Englisch über den Tisch hin. Den Oakleys zuliebe ist die Verkehrssprache des heutigen Abends Englisch.
»Hör nicht auf ihn«, befiehlt Louisa.
»Sie ist mein Gewissen!« Lärmendes Lachen, das seinen ganzen Mundinhalt sehen läßt. »Vor Louisa wußte ich gar nicht, daß ich eins hatte!«
Und findet das so herrlich komisch, daß jeder mit ihm auf sein Gewissen anstoßen muß, während er sich den Hals verrenkt, um Donna ins Dekolleté
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