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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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sehen.«
    Ihm gingen die Worte aus, aber da niemand ihm zu Hilfe kam, machte er weiter:
    »Vermutlich hängt alles davon ab, wie viele US-Militärbasen hier am Ende leerstehen, richtig? Und dazu müßten wir wohl ein bißchen im Kaffeesatz lesen können oder, mit Verlaub, die streng geheimen Leitungen zum Pentagon anzapfen, wenn wir dieses kleine Rätsel lösen wollten.«
    »Blödsinn«, sagte Kevin ziemlich laut. »Die Schlaumeier haben das Land doch schon seit Jahren unter sich aufgeteilt, stimmt’s, Ernie?«
    Ein furchtbares Schweigen trat ein. Delgados feines Gesicht wurde bleich und hart. Niemand wußte etwas zu sagen, außer Rafi, der, unempfänglich für atmosphärische Schwingungen, Donna munter nach ihrem Make-up ausfragte, damit er seiner Frau auch so etwas kaufen könnte. Gleichzeitig versuchte er seinen Fuß Louisa zwischen die Beine zu schieben, die sie zur Selbstverteidigung übereinandergeschlagen hatte. Und plötzlich fand die unanständige Emily die Worte, die die anständige Louisa fromm für sich behalten hatte, die aber jetzt, zunächst in zusammenhanglosen Einzelheiten, dann in einem unaufhaltsamen, alkoholbedingten Schwall aus ihr hervorsprudelten.
    »Kevin. Ich begreife nicht, was Sie damit sagen wollen. Dr. Delgado setzt sich für die Erhaltung des Kanals ein. Sollte Ihnen das entgangen sein, dann nur, weil Ernesto viel zu höflich und bescheiden ist, als daß er damit hausieren ginge. Im Gegensatz dazu hat Sie doch nur eins hier nach Panama gebracht, Sie wollen am Kanal nur Geld verdienen, und eben dafür ist er nicht gedacht. Geld verdient man am Kanal nur, wenn man ihn kaputtmacht.« Ihre Stimme geriet ins Schwanken, als sie die Verbrechen aufzählte, die Kevin im Sinne hatte. »Dazu muß man die Wälder roden, Kevin. Den Süßwasserzufluß abschneiden. Sich nicht darum kümmern, daß die Konstruktion und die Baulichkeiten auf dem von unseren Vorvätern gewünschten Stand erhalten werden.« Ihre Stimme klang belegt und wurde immer lauter. Sie hörte sich, konnte sich aber nicht mehr bremsen. »Und deshalb, Kevin, wenn Sie sich wirklich bemüßigt fühlen, Geld zu machen, indem Sie die Errungenschaften großer Amerikaner ausverkaufen, schlage ich vor, daß Sie nach San Francisco zurückgehen, wo Sie hergekommen sind, und den Japanern die Golden Gate Bridge verkaufen. Und Sie, Rafi, wenn Sie nicht auf der Stelle Ihre Pfote von meinem Oberschenkel nehmen, hau ich Ihnen eine Gabel rein.« Worauf sämtliche Anwesenden zu dem Schluß kamen, daß sie nun aber wirklich nach Hause müßten – zu dem kranken Kind, dem Babysitter, dem Hund oder sonst irgend etwas, das sich in sicherer Entfernung von dem Ort befand, wo sie sich gegenwärtig aufhielten.
     
    Aber was macht Harry, als er seine Gäste beschwichtigt hat, sie zu ihren Autos begleitet und ihnen von der Treppe aus nachgewinkt hat? Er hält eine Grundsatzrede.
    »Es geht um Expansion, Lou« – er hält sie in den Armen und tätschelt ihr den Rücken – »und sonst gar nichts. Die Kunden wollen gestreichelt werden.« Er tupft ihr mit seinem Taschentuch aus irischem Leinen die Tränen weg. »Expandieren oder kaputtgehen, Lou, eine andere Wahl gibt es heute nicht mehr. Denk daran, was der gute alte Braithwaite erleben mußte. Erst war sein Geschäft hin, dann er selbst. Du willst doch nicht, daß es mir auch so geht? Also expandieren wir. Wir machen den Club auf. Wir kommen unter die Leute. Wir erweitern unsern Bekanntenkreis, denn anders geht das nicht. Was meinst du, Lou? Hab ich recht?«
    Aber inzwischen ist sie durch sein herablassendes Zureden störrisch geworden, und sie entwindet sich seinen Armen.
    »Harry, man kann auch auf andere Weise kaputtgehen. Denk nur mal an deine Familie. Ich kenne allzu viele Fälle, und du kennst sie auch, wo vierzigjährige Männer Herzinfarkte und andere Streßkrankheiten bekommen haben. Wenn dein Geschäft nicht expandiert, überrascht mich das, denn du hast mir in letzter Zeit oft von Verkaufserfolgen und steigenden Erträgen erzählt. Aber falls du dir wirklich Sorgen um die Zukunft machst und das für dich nicht nur ein Vorwand ist: wir können immer noch auf die Reisfarm zurückgreifen, und wir alle würden bestimmt lieber wie gute genügsame Christen in beschränkten Verhältnissen leben, als versuchen, mit deinen reichen sittenlosen Freunden Schritt zu halten, um den Preis, daß du uns stirbst.«
    Worauf Pendel sie leidenschaftlich in die Arme nimmt und ihr verspricht, er werde morgen früher als

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