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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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durch Verbindungsflure, Salons, Bibliotheken und Empfangszimmer. Jedes Fenster zeigte ihm eine andere Welt: hier der Kanal, der sich, beladen mit Schiffen, grandios durchs Talbecken schwang; hier die mit Fiebernebeln verhangenen Hügel, malvenfarben und bewaldet; hier die Bögen der Bridge of the Americas, die sich wie ein riesiges, sich windendes Seeungeheuer über die Bucht schwangen, und weiter hinten die drei Inseln, die wie Kegel vom Himmel hingen.
    Und die Vögel! Die Tiere! Auf diesem einen Hügel – so hatte Pendel aus einem der Bücher von Louisas Vater erfahren – existierten mehr Arten als in ganz Europa zusammen. Auf den Ästen einer großen Eiche lagen ausgewachsene Leguane nachdenklich in der Vormittagssonne. Aus einer anderen Eiche hangelten sich braunweiße Krallenaffen hinunter und holten sich die Mangostücke, die von der freundlichen Frau des Generals dort hingelegt worden waren. Dann huschten sie, einander tretend, wieder den Stamm hinauf in Sicherheit. Und auf dem perfekt gepflegten Rasen tummelten sich braune Ñeques , die wie riesige Hamster aussahen. Es war schlicht eins der Häuser, in denen Pendel schon immer gern gewohnt hätte.
     
    Pendels Koffer quer vor der Brust, stieg der Sergeant in Präsentierhaltung die Treppe empor. Pendel folgte ihm. Auf alten Stichen prunkten uniformierte Krieger mit ihren Schnauzbärten. Rekrutierungsplakate forderten ihn zur Teilnahme an vergessenen Kriegen auf. Der Teakschreibtisch im Arbeitszimmer des Generals war so glänzend poliert, daß Pendel überzeugt war, er könne hindurchsehen. Aber vollends ins Schweben geriet Pendel dann im Ankleidezimmer. Neunzig Jahre war es her, daß die besten Architekten und Soldaten Amerikas mit vereinten Kräften Panamas erstes Heiligtum der Schneiderzunft geschaffen hatten. In jenen Tagen waren die Tropen der Kleidung des Gentleman nicht günstig gesinnt. Selbst die bestgeschnittenen Anzüge konnten über Nacht verschimmeln. Hing man sie in enge Schränke, steigerte sich das Problem der Feuchtigkeit noch. Und deshalb hatte man sich für das Ankleidezimmer des Generals etwas anderes einfallen lassen: eine hohe luftige Kapelle, deren Oberfenster sinnreich so angebracht waren, daß sie jeden kleinsten Windhauch einfingen. Und dann das Wunderwerk einer mächtigen Mahagonistange, die an Flaschenzügen von der Decke hing und sich auch von zarter Frauenhand mühelos von oben nach unten bewegen ließ. Und an dieser Stange hatten die vielen Tagesanzüge, Morgenröcke, Smokingjacken, Fräcke, Parade- und Gesellschaftsuniformen des ersten Generals gehangen, der hier das Kommando geführt hatte. Dort hingen sie frei und beweglich, umweht vom sanften Wind, der durch die Fenster strich. Auf der ganzen Welt kannte Pendel keine phantastischere Huldigung seiner Kunst als diese Vorrichtung.
    »Und Sie erhalten diesen Raum, General, Sir! Sie benutzen ihn!« rief er leidenschaftlich. »Und das ist etwas, das wir Briten, mit Verlaub gesagt, gemeinhin nicht mit unseren verehrten amerikanischen Freunden in Verbindung bringen.«
    »Nun, Harry, wir alle sind nie ganz das, was wir zu sein scheinen«, sagte der General mit argloser Zufriedenheit, während er sich im Spiegel betrachtete.
    »Gewiß, Sir, so ist es. Aber was aus all dem werden soll, wenn es in die Hände unserer tapferen panamaischen Gastgeber fällt, kann wohl niemand im voraus wissen«, ergänzte er nicht ungeschickt in seiner Rolle als Horchposten. »Anarchie und Schlimmeres erwarten uns, wenn ich meinen sensationsgierigeren Kunden glauben darf.«
    Der General war geistig jung geblieben und nahm ein offenes Wort nicht übel. »Harry, das geht hin und her. Gestern wollten sie uns loswerden, weil wir schlechte Kolonialherren und Spekulanten sind und sie keine Luft bekommen, solange wir auf ihren Köpfen sitzen. Heute wollen sie uns dabehalten, weil wir der größte Arbeitgeber im Lande sind und weil sie, wenn Uncle Sam sie im Stich läßt, auf den internationalen Geldmärkten in eine Vertrauenskrise geraten. Packen und auspacken. Auspacken und packen. Großartiges Gefühl, Harry. Wie geht’s Louisa?«
    »Danke, General, Louisa geht es bestens, und noch besser wird es ihr gehen, wenn sie erfährt, daß Sie sich nach ihr erkundigt haben.«
    »Milton Jenning war ein ausgezeichneter Pionier in seiner Einheit und ein guter Amerikaner. Ein großer Verlust für uns.«
    Sie probierten einen einreihigen blaugrauen Alpaka-Dreiteiler an, Preis 500 Dollar; denselben Betrag hatte Pendel neun

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