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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Wangen. Angeregter Tonfall. Eine Begeisterung, die allerdings hauptsächlich aus der Flasche kam.
    »Harry, wir müssen den Geländewagen waschen. Schließlich sollst du einen leibhaftigen Helden unserer Tage einkleiden. Der General hat mehr Orden als jeder General der US-Army in seinem Rang und Alter. Mark, du holst ein paar Eimer heißes Wasser. Hannah, du kümmerst dich bitte um Schwamm und Putzmittel, und hör sofort mit der Flucherei auf.«
    Pendel hätte den Wagen durch die Waschanlage der nächsten Tankstelle fahren können, doch hatte Louisa heute und dem General zuliebe ein Bedürfnis nach Anstand und Reinlichkeit. Nie war sie so stolz gewesen, Amerikanerin zu sein. Und das sagte sie auch mehrmals. Sie war so aufgeregt, daß sie stolperte und beinahe hinfiel. Nach der Wagenwäsche prüfte sie Pendels Krawatte. Prüfte sie, wie Tante Ruth Bennys Krawatten geprüft hatte. Erst aus der Nähe, dann von weitem, wie ein Gemälde. Und war erst zufrieden, als Pendel sie gegen eine etwas gedämpftere ausgetauscht hatte. Ihr Atem roch streng nach Zahnpasta. Pendel fragte sich, warum sie sich in letzter Zeit so häufig die Zähne putzte.
    »Harry, soweit ich weiß, bist du kein Angeklagter. Und deshalb solltest du auch nicht wie ein Angeklagter aussehen , wenn du zum Oberbefehlshaber des Kommando Süd der Vereinigten Staaten gehst.« Dann rief sie den Friseur an und machte mit ihrer besten Delgado-Sekretärinnenstimme einen Termin für zehn Uhr. »Kein Schnickschnack, keine Koteletten, José. Schneiden Sie Mr. Pendel die Haare bitte ganz kurz und ordentlich. Er will dem Oberbefehlshaber des Kommando Süd der Vereinigten Staaten seine Aufwartung machen.«
    Danach erklärte sie Pendel, wie er aufzutreten habe:
    »Harry, du machst keine Witze, du bist respektvoll« – sie strich ihm liebevoll die Jackettschultern glatt, die freilich auch so schon perfekt saßen – »du grüßt den General von mir und vergißt nicht ihm auszurichten, daß die ganze Familie Pendel und nicht nur Milton Jennings Tochter sich darauf freut, wie jedes Jahr auch diesmal am Thanksgiving-Grillfest der amerikanischen Familien und dem anschließenden Feuerwerk teilzunehmen. Und bevor du aus dem Laden gehst, putz dir noch einmal gründlich die Schuhe. Es gibt keinen Soldaten auf der Welt, der seine Mitmenschen nicht nach den Schuhen beurteilt, und der Oberbefehlshaber des Kommando Süd macht da keine Ausnahme. Und fahr vorsichtig, Harry. Bitte.«
    Ihre Ermahnungen waren überflüssig. Auf dem gewundenen Dschungelpfad den Ancón Hill hinauf hielt Pendel gewissenhaft wie immer das vorgeschriebene Tempo ein. Am Kontrollpunkt der US Army nahm er stramme Haltung an und zeigte dem Wachposten ein entschlossenes Lächeln, denn inzwischen war er selbst schon halb zum Soldaten geworden. Als er an den gepflegten weißen Villen vorbeifuhr, wurden die auf die Fassaden gemalten Rangbezeichnungen immer höher, und er fühlte sich gewissermaßen selbst von Haus zu Haus immer eine Stufe höher befördert bis zur höchsten. Und als er die prächtige Treppe zum Eingang des Hauses Nummer 1 auf Quarry Heights emporstieg, verfiel er trotz seines Koffers in den eigentümlichen amerikanischen Soldatengang, bei dem der Oberkörper unbeweglich seinen Kurs verfolgt, während Hüften und Knie ihre davon unabhängigen Funktionen erfüllen.
    Aber kaum hatte er das Haus betreten, war Harry Pendel hoffnungslos verliebt, wie jedesmal, wenn er hierherkam.
     
    Dies war mehr als Macht. Es war der Lohn der Macht: der Palast eines Prokonsuls auf einem eroberten fremden Hügel, bemannt mit höflichen römischen Wächtern.
    »Sir. Der General wird Sie jetzt empfangen, Sir«, erklärte ihm der Sergeant und nahm ihm mit einer geübten Bewegung den Koffer ab.
    In der strahlend weißen Vorhalle hingen Messingtafeln für jeden General, der hier bisher gedient hatte. Pendel begrüßte sie wie alte Freunde, sah sich aber gleichzeitig nervös nach unwillkommenen Anzeichen für Veränderungen um. Seine Befürchtungen waren grundlos. Bloß eine wenig gelungene Verglasung der Veranda, ein paar unansehnliche Ventilatoren. Ein paar Teppiche zuviel. In einer früheren Phase seiner Karriere hatte der General den Orient unterworfen. Im übrigen sah das Haus noch ziemlich so aus, wie Teddy Roosevelt es angetroffen haben mochte, als er hierhergekommen war, um die Fortschritte seiner neuesten Errungenschaft zu begutachten. Schwerelos, sein eigenes Dasein zählte nicht mehr, folgte Pendel dem Sergeant

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