Der Schneider
Jetzt, solange wir an der Macht sind, jetzt, solange die ausländischen Bieter uns den Hof machen, jetzt, bevor uns diese blauäugigen Ökologen mit ihren kostbaren Regenwäldern auf die Nerven gehen.
Auf den Korridoren Getuschel von Schmiergeldern, Machenschaften, heimlichen Absprachen. Der Kanal wird modernisiert, für die Passage größerer Schiffe verbreitert … neue Schleusen sind in Planung … multinationale Unternehmen bieten enorme Summen für Beratertätigkeit, Einfluß, Aufträge, Kontrakte … Und unterdessen: neue Akten, die Louisa nicht bearbeiten darf, und neue Bosse, die verstummen, wenn sie irgendein anderes Zimmer als das von Delgado betritt: ihr armer, anständiger, ehrenwerter Ernesto, der sich vergeblich der Flut ihrer unersättlichen Gier entgegenwirft.
»Ich bin doch viel zu jung!« schrie sie. »Ich bin zu jung und zu lebendig , mir die Kindheit vor meinen Augen zertrümmern zu lassen!«
Sie fuhr erschreckt auf. Ihr Kopf mußte an Pendels verständnislose Schulter gerollt sein.
»Was habe ich gesagt?« fragte sie besorgt.
Sie hatte nichts gesagt. Gesprochen hatte nur der diplomatische Mr. Osnard hinter ihr. Mit seiner grenzenlosen Höflichkeit erkundigte er sich, ob Louisa es genieße, hautnah mitzuerleben, wie die Panamaer den Kanal übernähmen.
Im Hafen von Gamboa zeigte Mark Mr. Osnard, wie man die Plane vom Motorboot abnehmen mußte, und warf die Maschine ganz alleine an. Harry war am Ruder, bis sie die Fahrrinne des Kanals durchquert hatten, Mark aber setzte das Boot auf den Strand und machte es fest, lud das Gepäck aus und zündete mit tatkräftiger Hilfe des munteren Mr. Osnard den Grill an.
Wer ist dieser einnehmende junge Mann, so jung, so hübsch-häßlich, so sinnlich, so amüsant, so höflich? Wie steht dieser sinnliche Mensch zu meinem Mann und wie mein Mann zu ihm? Warum ist dieser sinnliche Mensch wie ein neues Leben für uns – auch wenn Harry jetzt, nachdem er ihn uns aufgedrängt hat, das anscheinend am liebsten wieder rückgängig machen würde? Woher weiß er so viel über uns, wieso gibt er sich uns gegenüber so locker, so familiär, wieso weiß er so gut Bescheid mit dem Laden und Marta und Abraxas und Delgado und allen unseren anderen Bekannten – nur weil sein Vater ein Freund von Mr. Braithwaite war?
Warum gefällt er Harry so viel weniger als mir? Schließlich ist er Harrys Freund, nicht meiner. Warum hängen meine Kinder so begeistert an seinen Lippen, während Harry ihm finster den Rücken zukehrt und über keinen seiner vielen Witze eine Miene verzieht?
Ihr erster Gedanke war, Harry sei eifersüchtig, und das gefiel ihr. Ihr zweiter Gedanke wurde unmittelbar zum Alptraum, zu einem furchtbaren, schändlichen Triumphgefühl: O Gott , o Mutter und Vater , Harry will , daß ich mich in Mr . Osnard verliebe , damit wir quitt sind .
Pendel und Hannah grillen Rippchen. Mark macht die Angeln zurecht. Louisa verteilt Bier und Apfelsaft und sieht ihre Kindheit zwischen den Bojen dahintuckern. Mr. Osnard fragt sie nach panamaischen Studenten aus – ob sie welche kennen würde, ob sie militant seien? – und nach Leuten, die auf der anderen Seite der Brücke leben.
»Nun, wir besitzen ja die Reisfarm«, sagt Louisa gewinnend. »Aber ich glaube nicht, daß wir dort irgendwelche Leute kennen.«
Harry und Mark sitzen Rücken an Rücken im Boot. Die Fische ergeben sich, um Mr. Osnard zu zitieren, im Geiste freiwilliger Euthanasie. Hannah liegt auf dem Bauch im Schatten des Anytime-Hauses und blättert demonstrativ in dem kostspieligen Buch über Ponys, das Mr. Osnard ihr zum Geburtstag geschenkt hat. Und Louisa, beflügelt von seinen behutsamen Erkundigungen und einem diskreten Schluck Wodka, beglückt ihn mit der Geschichte ihres Lebens, dargeboten in der koketten Sprache ihrer Hurenschwester Emily, wenn diese, bevor sie sich langlegte, ihre Scarlett-O’Hara-Nummer abzog.
»Mein Problem – und das muß ich einfach loswerden – darf ich wirklich Andy zu Ihnen sagen? Dann sagen Sie Lou zu mir – nun ja, ich liebe ihn von ganzem Herzen, so vieles an ihm – und Gott sei Dank habe ich nur dieses eine Problem, denn fast alle Frauen, die ich in Panama kenne, haben für jeden Tag der Woche ein Problem – aber trotzdem, wenn ich eins habe, dann ist es mein Vater.«
10
Louisa bereitete ihren Mann auf die Pilgerfahrt zum General genauso engagiert vor wie die Kinder auf den Religionsunterricht, nur mit noch größerer Begeisterung. Gerötete
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