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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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zu ihrer Linken, der Nebel darüber kräuselte sich wie ewiger Tau. Pelikane tauchten durch den Dunst, die Luft im Wagen roch nach Schiffsöl, nichts in der Welt hatte sich verändert, und so würde es auch bleiben, Amen. Dieselben Boote, die hier durchgefahren waren, als Louisa in Hannahs Alter gewesen war, fuhren auch jetzt hier durch; dieselben schwarzen Gestalten lehnten mit nackten Ellbogen auf den schwitzenden Schiffsgeländern, dieselben nassen Flaggen hingen schlaff an ihren Masten, und immer noch wußte kein Mensch auf der Welt, was sie bedeuteten – wie ihr Vater zu witzeln pflegte –, außer einem blinden alten Piraten in Portobelo. Pendel, der in Mr. Osnards Gegenwart seltsam befangen wirkte, fuhr mürrisch und schweigend. Louisa saß neben ihm, weil Mr. Osnard darauf bestanden hatte; er sitze lieber hinten, hatte er geschworen.
    Mr. Osnard, dachte sie schläfrig. Der stattliche Mr. Osnard. Mindestens zehn Jahre jünger als ich, trotzdem werde ich niemals Andy zu ihm sagen können. Sie hatte vergessen – falls sie es je gewußt hatte –, wie entwaffnend höflich ein Engländer sein konnte, wenn er sich das in den unaufrichtigen Kopf gesetzt hatte. Humor und Höflichkeit, pflegte ihre Mutter sie zu warnen, machen einen Menschen gefährlich charmant. Das gilt auch, wenn jemand ein guter Zuhörer ist, dachte Louisa, während sie, den Kopf nach hinten gelehnt, lächelnd verfolgte, wie Hannah ihm die Sehenswürdigkeiten erklärte, als ob sie ihr gehörten, und Mark sie, weil es ihr Geburtstag war, gewähren ließ – zumal Mark auf seine Weise von ihrem Gast genauso begeistert war wie Hannah.
    Einer der alten Leuchttürme kam in Sicht.
    »Wie kann man nur so dämlich sein und einen Leuchtturm auf einer Seite schwarz und auf der anderen weiß anstreichen?« fragte Mr. Osnard, nachdem er sich Hannahs endlosen Bericht über den erschreckenden Appetit von Alligatoren angehört hatte.
    »Hannah, nun sei aber mal etwas höflicher zur Mr. Osnard«, mahnte Louisa, als Hannah ihn prustend für einen Blödmann erklärte.
    »Erzählen Sie ihr vom alten Braithwaite, Andy«, schlug Harry mißmutig vor. »Erzählen Sie ihr von Ihren Kindheitserinnerungen an ihn. Das gefällt ihr.«
    Er will ihn mir anpreisen, dachte sie. Warum macht er das?
    Doch schon glitt sie in die Nebel ihrer eigenen Kindheit zurück, ein außerkörperliches Erlebnis wie immer, wenn sie nach Anytime fuhren: zurück in die tödliche Berechenbarkeit des Alltagslebens in der Kanalzone, in die uns von unseren träumenden Vorvätern hinterlassene Krematoriumsfrische, in der uns nichts anderes mehr zu tun bleibt, als uns mit den ganzjährig blühenden Blumen, die die Company für uns anpflanzt, und mit den immergrünen Rasen, die die Company für uns mäht, treiben zu lassen und in den Swimmingpools der Company zu schwimmen und Haß auf unsere schönen Schwestern zu entwickeln und die Zeitungen der Company zu lesen und uns in dieses Hirngespinst von einem zur Vollkommenheit gebrachten Gemeinwesen amerikanischer Frühsozialisten zu fügen, dieser Siedler, Kolonisatoren und Prediger inmitten der in der Welt außerhalb der Kanalzone lebenden gottlosen Eingeborenen, wobei wir in Wirklichkeit nie über unsere kleinlichen Streitereien und Eifersüchteleien, die das Los jeder Garnison sind, hinauskommen, nie die ethnischen, sexuellen oder sozialen Maßstäbe der Company in Frage stellen, nie auf die Dreistigkeit verfallen, das uns zugewiesene Gehege zu verlassen, sondern mit unerbittlichem Gehorsam Stufe für Stufe die gezeitenlose schmale Gasse unseres vorbestimmten Lebenswegs auf- und niedersteigen, und das in dem Wissen, daß jede Schleuse, jeder See und jede Fahrrinne, jeder Tunnel, jeder Roboter, jeder Damm und jeder begradigte Hügel links und rechts das unveränderliche Werk der Toten ist, und daß unsere Pflicht und Schuldigkeit hier auf Erden nur darin besteht, Gott und die Company zu preisen, uns strikt zwischen den Mauern zu halten, uns den Glauben und die Keuschheit trotz unserer promiskuitiven Schwester zu bewahren, uns zu Tode zu masturbieren und das Achte Weltwunder seiner Zeit zu preisen.
     
    Wer bekommt die Häuser , Louisa? Wer bekommt das Land, die Swimmingpools und Tennisplätze, die handgeschnittenen Hecken und die von der Company zu Weihnachten überreichten Plastikrentiere? Louisa , Louisa , sag uns , wie wir die Einnahmen steigern , die Kosten senken , die heilige Kuh der Gringos melken können ! Wir wollen es jetzt, Louisa!

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