Der Schneider
gern auf Pasteur: » Das Glück begünstigt nur den Vorbereiteten .«
Er war entweder reich oder, falls er das nicht war, verschwenderisch beziehungsweise mehr als großzügig. Fast jede Tasche seiner teuren Maßanzüge – jemand wie Andy fand natürlich den besten Schneider in der Stadt, sobald er hier ankam – schien mit 20- und 50-Dollar-Scheinen vollgestopft zu sein. Aber wenn sie ihn darauf hinwies, erklärte er bloß achselzuckend, das bringe der Job so mit sich. Und wenn er sie zum Essen ausführte oder ein heimliches Wochenende mit ihr auf dem Lande verbrachte, warf er mit Geld nur so um sich.
Er hatte einen Windhund besessen, den er an Rennen im White-City-Stadion hatte teilnehmen lassen, bis – nach seinen Worten – ein paar von den Jungs ihn aufgefordert hatten, mit dem Köter woanders hinzugehen. Das ehrgeizige Projekt einer Go-Kart-Bahn in Oman war auf ähnliche Weise fehlgeschlagen. Dann hatte er am Shepherd Market Silber verkauft. Keins dieser Intermezzi konnte lange gedauert haben, denn er war erst siebenundzwanzig.
Über seine Herkunft verweigerte er jede Auskunft, er behauptete lediglich, seinen ungeheuren Charme und Reichtum habe er einer entfernten Tante zu verdanken. Er sprach auch nie von seinen früheren Eroberungen, dabei hatte sie erstklassige Gründe zu der Annahme, daß es eine beträchtliche Zahl sein mußte. Seinem Schweigeversprechen getreu, stellte er in der Öffentlichkeit keinerlei Ansprüche an sie, und gerade das fand sie sehr erregend: Eben noch war sie in seinen überaus fähigen Armen auf dem Höhepunkt der Ekstase, und im nächsten Augenblick saß sie ihm bei einer Kanzleibesprechung züchtig gegenüber und tat so, als ob sie einander kaum kennen würden.
Und er war ein Spion. Und er hatte den Auftrag, einen anderen Spion mit Namen BUCHAN zu führen. Beziehungsweise mehrere, denn BUCHANs Informationen waren so vielfältig und aufregend, daß sie unmöglich von einer einzigen Person stammen konnten.
Und BUCHAN hatte Zugang zum Präsidenten und zum US-General des Kommando Süd. BUCHAN kannte Gauner und Geschäftemacher, Leute, wie Andy sie gekannt haben mußte, als er noch seinen Windhund hatte, dessen Namen sie kürzlich erfahren hatte: Vergeltung. Sie maß dem Bedeutung bei: Andy hatte feste Vorstellungen.
Und BUCHAN stand in Kontakt mit einer heimlichen demokratischen Opposition, die nur darauf wartete, daß die alten Faschisten in Panama ihr wahres Gesicht zeigten. Er sprach mit militanten Mitgliedern der Studentenbewegung, mit Fischern und heimlichen Aktivisten in den Gewerkschaften. Er verschwor sich mit ihnen, wartete mit ihnen auf den Tag X. Er nannte sie – sehr reizvoll, dachte sie – die Leute von der anderen Seite der Brücke. Zu BUCHANs Bekannten zählte auch Ernie Delgado, die graue Eminenz des Kanals. Und Rafi Domingo, der als Geldwäscher für die Kartelle tätig war. BUCHAN kannte Mitglieder der Gesetzgebenden Versammlung, und zwar viele. Er kannte Anwälte und Bankdirektoren. BUCHAN kannte offenbar jeden, den man in Panama kennen mußte, und Fran fand es außerordentlich, ja unheimlich , daß es Andy in so kurzer Zeit gelungen war, mitten ins Herz eines Panama einzudringen, von dessen Existenz sie nie etwas geahnt hatte. Aber schließlich hatte er auch ihr Herz ziemlich im Sturm erobert.
Und BUCHAN witterte eine große Verschwörung, wenngleich niemand so recht begriff, wer genau dahinterstecken sollte: nur daß die Franzosen und vermutlich die Japaner und Chinesen und die Tiger Südostasiens daran beteiligt waren oder sein könnten, vielleicht auch die mittel- und südamerikanischen Drogenkartelle. Und bei der Verschwörung ging es darum, den Kanal durch die Hintertür zu verkaufen, wie Andy das ausdrückte. Aber wie? Und wie, ohne daß die Amerikaner es mitbekamen? Immerhin hatten die Amerikaner fast das ganze Jahrhundert über faktisch dieses Land regiert, und sie hatten auf dem ganzen Isthmus, ja in ganz Mittelamerika die erstaunlichsten und raffiniertesten Abhörsysteme installiert.
Aber seltsam, die Amerikaner wußten von all dem nichts, und das machte die Sache nur um so aufregender. Beziehungsweise, falls sie davon wußten, haben sie es uns verschwiegen. Oder sie wußten es, haben es aber einander verschwiegen; denn wenn man heutzutage von amerikanischer Außenpolitik redete, mußte man erst einmal fragen welche, und welcher Botschafter: der in der US-Botschaft oder der auf Ancón Hill, weil die amerikanischen Militärs sich immer noch
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