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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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eingesetzten Kanalverwaltung nimmt täglich größere Ausmaße an , da aufgrund der herrschenden Vetternwirtschaft und zur Verzweiflung Ernesto Delgados die altgedienten Mitarbeiter gegen unqualifizierte Angestellte ausgetauscht werden ; ein besonders krasser Fall ist die Ernennung von José-María Fernandez zum Direktor der Öffentlichen Versorgungsbetriebe , nachdem er gerade erst eine 30prozentige Beteiligung an der chinesischen Fast-Food-Kette Lee Lotus erworben hat , an der auch Gesellschaften , die dem von Rodríguez kontrollierten brasilianischen Drogenkartell gehören , mit 40 Prozent beteiligt sind …
     
    »Ist das der Fernandez, der sich am Nationalfeiertag an mich ranmachen wollte?« erkundigte sich Fran mit ausdrucksloser Miene bei Andy, als sie wieder einmal spät abends in Maltbys Büro zu einem Buchanianer-Treffen versammelt waren.
    Sie hatte mit ihm in seiner Wohnung zu Mittag gegessen und den ganzen Nachmittag mit ihm im Bett verbracht. Nicht nur die wohlige Erinnerung daran, auch Neugier trieb sie zu dieser Frage.
    »Krummbeiniger Glatzkopf«, antwortete Andy sorglos. »Brille, Pickel, Achselschweiß und Mundgeruch.«
    »Genau, das ist er. Er wollte mich zu einem Festival nach David mitnehmen.«
    »Wann geht’s los?«
    »Andy, wir sind hier nicht vor Gericht«, sagte Nigel Stormont, ohne von seiner Akte aufzublicken, und Fran mußte sich schwer zusammennehmen, um nicht laut loszukichern.
    Und nach den Sitzungen sah sie aus den Augenwinkeln zu, wie Andy die Akten wieder zusammenpackte und damit in sein geheimes Reich hinter der neuen Stahltür im Ostflügel stapfte, gefolgt von seinem unheimlichen Sekretär, der immer Strickwesten trug und sich die Haare mit Pomade anklatschte – Shepherd nannte er sich, und ständig hatte er Schraubenschlüssel, Schraubenzieher, Verlängerungskabel und dergleichen in der Hand.
    »Was macht dieser Shepherd eigentlich für dich?«
    »Die Fenster putzen.«
    »Dazu ist er nicht groß genug.«
    »Ich hebe ihn hoch.«
    Mit ähnlich gedämpfter Erwartung fragte sie Osnard jetzt, warum er sich wieder einmal anziehen müsse, wenn alle anderen schlafen wollten.
     
    »Muß jemand sprechen, geht um einen Hund«, antwortete er knapp. Er war den ganzen Abend nervös gewesen.
    »Einen Windhund?«
    Keine Antwort.
    »Das ist ja ein sehr später Hund«, sagte sie in der Hoffnung, ihn aus der Versenkung zu locken.
    Keine Antwort.
    »Wahrscheinlich derselbe Hund, der in dem dringenden kodierten Telegramm, das du heute nachmittag bekommen hast, so eine wichtige Rolle spielt.«
    Osnard, der sich gerade das Hemd über den Kopf zog, erstarrte mitten in der Bewegung. »Woher weißt du das denn?« fragte er nicht allzu freundlich.
    »Ich habe vorhin im Aufzug Shepherd getroffen. Er wollte wissen, ob du noch im Hause bist, und da habe ich natürlich gefragt warum. Er habe eine scharfe Nummer für dich, hat er gesagt, aber die müßtest du persönlich knacken. Erst bin ich für dich rot geworden, dann ist mir aufgegangen, daß er von einer dringenden Nachricht sprach. Willst du nicht deine Beretta mit Perlmuttgriff mitnehmen?«
    Keine Antwort.
    »Wo triffst du dich mit ihr?«
    »Im Puff«, sagte er barsch, schon auf dem Weg zur Tür.
    »Hab ich dich irgendwie beleidigt?«
    »Noch nicht. Aber du schaffst’s schon noch.«
    »Vielleicht hast du mich beleidigt. Ich geh wohl besser in meine Wohnung. Muß unbedingt mal richtig ausschlafen.«
    Aber sie blieb, und bei ihr blieb der Geruch seines starken Körpers und sein Abdruck in der Matratze neben ihr und die Erinnerung an seine wachsam glühenden Augen, die sie im Halbdunkel anstarrten. Selbst seine Wutanfälle erregten sie. Nicht minder seine böse Seite, in den seltenen Augenblicken, in denen er sie herausließ: zum Beispiel im Bett, wenn sie ihn bei ihren Spielchen fast bis zur Gewalttätigkeit reizte, und wenn er dann den verschwitzten Kopf hob, als ob er zuschlagen wollte, und gerade noch darauf verzichtete. Oder bei den BUCHAN-Sitzungen, wenn Maltby ihn mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit wegen irgendeines Berichts piesackte – »Ihre Quelle scheint mir nicht nur allwissend, sondern auch ein Analphabet zu sein, Andrew, oder haben wir diese Grammatikfehler Ihnen zu verdanken?« –, wenn sich dann seine unsteten Züge allmählich verhärteten und es in seinen Augen gefährlich zu funkeln begann, und sie mit einemmal begriff, warum er seinen Windhund »Vergeltung« getauft hatte.
    Ich verliere die Kontrolle, dachte sie. Nicht über ihn,

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