Der Schneider
Welt herumgekommen sind – die Familie so weit verstreut ist – Sie doppelte Staatsangehörigkeit haben –, daß sie für diese Art von Arbeit vielleicht ein wenig zu unenglisch sein könnten? Zu sehr Weltbürger und nicht so sehr einer von uns?«
Patriotismus war ein heikles Thema. Wie würde Osnard damit umgehen? Würde er abwehrend reagieren? Würde er unhöflich werden? Oder, schlimmer noch, mit Gefühlsduseleien aufwarten? Sie hätten nichts zu befürchten brauchen. Er verlangte von ihnen nur einen Ort, wo er sein amoralisches Wesen gewinnbringend einsetzen konnte.
»In England bewahre ich meine Zahnbürste auf«, antwortete er zu erleichtertem Gelächter.
Schon fing er an, das Spiel zu durchschauen. Nicht was er sagte, war wichtig, sondern wie er es sagte. Denkt der Bursche beim Reden? Gerät er leicht aus der Fassung? Beherrscht er Tricks, ist er ängstlich, wirkt er überzeugend? Kann er die Lüge denken und die Wahrheit aussprechen? Kann er die Lüge denken und sie aussprechen?
»Wir haben die Liste Ihrer amourösen Beziehungen der letzten fünf Jahre überprüft, junger Mr. Osnard«, sagte ein bärtiger Schotte und zwinkerte, um noch pfiffiger zu wirken. »Und diese Liste ist reichlich lang« – er saugte an den Zähnen – »für ein relativ kurzes Leben.«
Lachen, in das Osnard einstimmte, wenn auch nicht allzu sehr.
»Ich denke, eine Liebesaffäre kann man am besten danach beurteilen, wie sie endet«, antwortete er mit freundlicher Bescheidenheit. »Bei mir scheinen die meisten recht gut geendet zu haben.«
»Und die anderen?«
»Na ja, wie soll ich sagen? Sind wir alle nicht schon mal im falschen Bett aufgewacht?«
Und da dies für die sechs um den Tisch sitzenden Gestalten und insbesondere für den bärtigen Frager höchst unwahrscheinlich war, erntete Osnard ein weiteres verhaltenes Lachen.
»Und Sie haben Familie, wußten Sie das?« sagte der Personalchef und gratulierte ihm mit einem gichtigen Händedruck.
»Ja, ich hab’s jetzt wohl geschafft«, sagte Osnard.
»Nein, nein, alte Familie. Eine Tante, einen Vetter. Oder haben Sie das wirklich nicht gewußt?«
Zur enormen Befriedigung des Personalchefs hatte er es tatsächlich nicht gewußt. Und als er vernahm, um wen es sich handelte, wollte er schon in dröhnendes Gelächter ausbrechen, das er aber gerade noch rechtzeitig zu einem freundlich verblüfften Grinsen umzubiegen vermochte.
»Mein Name ist Luxmore«, sagte der bärtige Schotte mit einem Händedruck, der dem des Personalchefs seltsam ähnlich war. »Ich bin für die iberische Halbinsel und Südamerika und noch ein paar andere Gegenden zuständig. Vielleicht haben Sie auch in Zusammenhang mit einer gewissen kleinen Angelegenheit auf den Falklandinseln von mir gehört. Sie werden von mir hören, sobald Sie die Grundausbildung absolviert haben, junger Mr. Osnard.«
»Kann’s kaum erwarten, Sir«, sagte Osnard eifrig.
Und wie gespannt er war. In der Epoche nach dem Kalten Krieg, hatte er bemerkt, hatten die Spione überaus gute, aber auch überaus schlechte Zeiten. Die Geheimdienste hatten Geld wie Heu; aber wo waren die Esel, die sie damit füttern konnten? Eingepfercht im sogenannten Spanischen Keller, der als die Redaktion des Madrider Telefonbuchs hätte durchgehen können, auf Tuchfühlung mit nicht mehr ganz taufrischen Debütantinnen, die Kette rauchten und Haarreifen trugen, notierte der junge Novize eine bissige Bewertung des Ansehens seiner Arbeitgeber in den Gefilden von Whitehall:
Irland bevorzugt : Regelmäßiges Einkommen, ausgezeichnete langfristige Aussichten, aber schmaler Profit, wenn zwischen rivalisierenden Organisationen aufgeteilt.
Islamische Militanz : Gelegentliche Turbulenzen, im wesentlichen ineffektiv. Als Ersatz für Roten Terror ein totaler Flop.
Waffen für Drogen : Fehlschlag. Unklarheit beim Service, ob man Wildhüter oder Wilderer spielen soll.
Was jene vielgepriesene Errungenschaft der heutigen Zeit angeht, die Industriespionage, meinte er, wenn man erst einmal ein paar taiwanesische Kodes geknackt und ein paar koreanische Tippsen bestochen habe, könne man für die britische Industrie kaum noch etwas anderes tun als sie bemitleiden. Das jedenfalls hatte er sich eingeredet, bis Scottie Luxmore ihn zu sich winkte.
» Panama , junger Mr. Osnard« – er schritt auf seinem blauen Teppichboden auf und ab, schnippte mit den Fingern, ruckte mit den Ellbogen, alles an ihm war in Bewegung – »das ist der ideale Ort für
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