Der Schneider
einen jungen Beamten mit Ihren Fähigkeiten. Der ideale Ort für uns alle, wenn die Idioten vom Finanzministerium nur mal über ihren Tellerrand sehen könnten. Dasselbe Problem hatten wir schon mit den Falklandinseln, wenn ich Sie daran erinnern darf. Taube Ohren bis zur allerletzten Sekunde.«
Luxmores Zimmer ist groß und dem Himmel nahe. Durch die getönten Panzerglasfenster sieht man den Palast von Westminster tapfer jenseits der Themse stehen. Luxmore selbst ist klein. Auch sein schicker Bart und der forsche Gang können ihn nicht größer machen. Er ist ein alter Mann in einer jugendlichen Welt, und wenn er aufhört zu laufen, wird er fallen. Denkt Osnard jedenfalls. Luxmore saugt an seinen schottischen Schneidezähnen, als habe er ständig einen Bonbon im Mund.
»Aber wir kommen voran. Das Handelsministerium und die Bank von England rennen uns die Türen ein. Das Außenministerium, wo man sonst wenig hysterisch ist, hat vorsichtig Besorgnis geäußert. Ich erinnere mich, daß man dort so ziemlich das gleiche geäußert hat, als ich das Vergnügen hatte, ihnen von General Galtieris Absichten in bezug auf die fälschlich so genannten Malwinen zu berichten.«
Osnard sinkt der Mut.
»Aber, Sir …«, protestiert er mit der sorgfältig modulierten Stimme des atemlosen Anfängers, auf die er sich verlegt hat.
»Ja, Andrew?«
»Welches Interesse hat Großbritannien an Panama? Oder bin ich begriffsstutzig?«
Luxmore freut sich über die Unschuld des Jungen. Junge Menschen für den Dienst an der Front zu formen, ist immer eins seiner größten Vergnügen gewesen.
»Überhaupt keins, Andrew. An Panama als Nation haben die Briten nun wirklich keinerlei Interesse«, antwortet er mit durchtriebenem Lächeln. »Ein paar gestrandete Seeleute, ein paar hundert Millionen britische Investitionen, eine schrumpfende Schar assimilierter Altbriten, ein paar todgeweihte Beratergremien – mehr hat es mit unserem Interesse an der Republik Panama nicht auf sich.«
»Was soll dann …«
Luxmore bringt Osnard mit einer Handbewegung zum Schweigen. Er redet zu seinem Spiegelbild in der Panzerglasscheibe.
»Wenn Sie Ihre Frage jedoch ein wenig anders formulieren würden, junger Mr. Osnard, bekämen Sie eine völlig andere Antwort. O ja.«
»Wie denn, Sir?«
»Welches geopolitische Interesse haben wir an Panama? Das sollten Sie sich fragen, wenn Sie wollen.« Er sprach wie für sich. »Welches lebenswichtige Interesse haben wir? Wo ist der Lebensnerv unserer großen Handelsnation am stärksten bedroht? Wo erblicken wir, wenn wir unser Teleobjektiv auf das künftige Wohlergehen dieser unserer Inseln richten, die schwärzesten Gewitterwolken, junger Mr. Osnard?« Er hatte sich warmgeredet. »Wo auf dem Globus sehen wir das nächste Hongkong, dessen Zeit abgelaufen ist, wo erwartet uns die nächste Katastrophe?« Offenbar am anderen Flußufer, auf das sein visionärer Blick gerichtet war. »Die Barbaren stehen vor den Toren, junger Mr. Osnard. Aus allen Himmelsrichtungen stürzen sich die Plünderer auf das kleine Panama. Die große Uhr da draußen zählt schon die Minuten bis zum großen Zapfenstreich. Und was macht unser Finanzministerium? Es hält sich wieder einmal die Ohren zu. Wer erringt den wertvollsten Besitz des neuen Jahrtausends? Die Araber? Wetzen die Japaner schon ihre katanas? Aber natürlich! Die Chinesen, die Tiger, oder ein lateinamerikanisches Konsortium, das auf Milliarden von Drogendollars zurückgreifen kann? Oder Europa ohne uns? Mal wieder die Deutschen, oder die verschlagenen Franzosen? Die Briten jedenfalls nicht, Andrew. Das steht schon mal fest. Nein, nein. Nicht unsere Hemisphäre. Nicht unser Kanal. Wir haben kein Interesse an Panama. Panama, diese Bananenrepublik. Panama, junger Mr. Osnard, das ist ein Punkt auf der Landkarte, und jetzt gehen wir lieber was Anständiges essen!«
»Die sind verrückt«, flüstert Osnard.
»Nein, sind sie nicht; sie haben recht. Das ist nicht unser Revier. Das ist der Hinterhof.«
Osnard versteht erst nicht, dann fällt es ihm wie Schuppen von den Augen. Der Hinterhof! Wie oft hatte er diesen Ausdruck während der Ausbildung gehört? Der Hinterhof! Das Eldorado aller britischen Schreibtischspione! Macht und Einfluß im amerikanischen Hinterhof! Die besondere Beziehung wieder zum Leben erweckt! Die ersehnte Rückkehr ins Goldene Zeitalter, als die in Tweed gewandeten Söhne von Yale und Oxford Seite an Seite in getäfelten Sälen saßen und gemeinsam ihre
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