Der Schock: Psychothriller (German Edition)
Dutzend. Sie hatten die Größe einer schmalen Tür, und die Ränder waren so verspachtelt, dass es aussah, als hätte jemand große Fenster in mit Reif überzogene Eisblöcke gekratzt, durch die man ins Innere der Blöcke sehen konnte. Und in jedem einzelnen schwebte eine Frau.
Die Frauen waren nackt und glichen ätherischen Erscheinungen, zumal eine Lichtquelle hinter den Blöcken den Körpern eine Aura verlieh. Ein magischer Schimmer drang an ihnen vorbei in den Raum, und Laura fühlte sich wie auf dem Grund eines beleuchteten Swimmingpools, umgeben von schwebenden Toten.
Die Frauen waren sich zum Verwechseln ähnlich. Sie alle hatten eine unnatürliche blasse Haut, sie waren jung, hatten eine ähnliche Figur, ihre Scham war rasiert, und sie alle hatten lange weißblonde Haare, die um ihren Kopf schwebten.
Laura wurde es eiskalt, als sie begriff, dass die Frauen noch eine weitere Gemeinsamkeit hatten: Sie sahen ihr ähnlich.
Sie hatte zwar keine blonden Haare, ihre Haut war nicht so weiß, und sie war älter als die Frauen um sie herum. Aber die Ähnlichkeit war dennoch unübersehbar.
»Ah«, flüsterte der Mann. »Du denkst über die Haare nach. Und die Haut. Hast du Angst? Es ist schwer, neben so viel Schönheit zu bestehen, oder? Man spürt, dass man nicht dazugehört. Aber mach dir keine Sorgen. Das kriegen wir hin. Ich kriege fast alles hin.« Seine Stimme war rau, wäre in jedem anderen Raum untergegangen. Hier, in dieser Totenstille, hörte Laura jedes Schmatzen der Zunge am Gaumen.
»Auch dass du älter bist, macht mir nichts.« Seine Zunge leckte über die trockenen Lippen. »Du bist perfekt, weißt du. Du weißt gar nicht wie perfekt. Sonst hätte ich auch nicht diesen weiten Weg für dich gemacht.«
Wofür perfekt?, dachte Laura. Verzweiflung machte sich in ihr breit, und sie kämpfte gegen die Tränen an. »Was … was wollen Sie von mir? Wer sind Sie?«
Der Mann zuckte zusammen. Für einen Moment weiteten sich seine Augen, sein Blick flackerte. Das Lächeln auf seinen Lippen erstarb. »Was … wer zum Teufel … «, flüsterte er und starrte sie an.
Laura biss sich auf die Lippen. Hatte sie etwas Falsches gesagt? Vielleicht durfte sie gar nichts sagen?
»Sag das noch mal«, flüsterte er heiser.
Laura presste die Lippen aufeinander. Das ist eine Falle, dachte sie. Er ist verrückt. Für alles, was ich jetzt sage, wird er mich –
»REDE«, brüllte der Mann.
Laura fuhr zusammen. Tränen schossen ihr in die Augen. »Ich … ich wollte wissen, wer Sie sind. Und was Sie von mir wollen.«
»Mehr.« Er fuchtelte mit der Hand. »Du sollst mehr reden!«
»Bitte … ich weiß nicht, was Sie von mir … ich weiß überhaupt nicht, was das alles soll«, stammelte Laura. »Wo bin ich hier?«
Der Tätowierte starrte sie mit offenem Mund an. Seine ohnehin schon weiße Haut war jetzt geradezu durchscheinend. Er stöhnte, legte den Kopf in den Nacken und fuhr sich mit der Hand über die Glatze. Eine der Deckenlampen strahlte ihm ins Gesicht. Für einen kurzen Augenblick glühten seine Pupillen rot auf, und er kniff die Lider zusammen, als hätte er sich versengt.
Laura stockte der Atem. Das kann nicht sein, dachte sie. Niemand hat rote Augen, niemand.
Der Mann senkte den Kopf. Er sah aus wie ein wildes Tier, das sich nicht entscheiden kann, ob es seine Beute reißen soll oder besser flieht. »Was machst du hier?«, fragte er fassungslos. »Was zum Teufel machst du hier?«
Was ICH hier mache? Laura begriff die Frage nicht. Er hatte sie doch hierher geschleppt.
»Sag schon!«, schrie er.
Seine Stimme löste etwas in ihr aus, das noch verstörender war als sein Anblick. Es war etwas Diffuses; eine Erinnerung kroch wie eine Schlange aus einem Erdloch, aber sie konnte sie nicht fassen, sie entglitt ihr.
Der Mann starrte sie an, als sei sie das Ungeheuer und nicht er. Dann stöhnte er laut auf, ballte die rechte Hand zur Faust und schlug sich gegen seinen nackten Schädel, mehrfach rasch hintereinander.
Schwer atmend hielt er schließlich inne. Schwankte kurz. Für einen Moment glaubte Laura, er würde zusammenbrechen.
Dann drehte er sich ruckartig um, ging mit steifen Schritten zur Tür, riss sie auf, löschte das Licht in der Galerie und warf die Tür krachend hinter sich ins Schloss.
Laura blieb in vollkommener Dunkelheit zurück und zitterte.
Das hier ist nicht wirklich, das hier gibt es nicht!, redete sie sich ein.
Doch das Bild vor ihrem inneren Auge wollte nicht verschwinden. Sie
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