Der Schock: Psychothriller (German Edition)
fühlen.
Er hatte gelernt, wie wichtig Signale waren. So wie die Frau im Tiefkühlschrank. Und die Schrift auf ihrer Stirn.
Ob er die Tür bereits geöffnet hatte?
Wenn nicht, gab es ja noch ein weiteres Signal. Mit Zeitzünder gewissermaßen. Die Abstellkammer.
Kapitel 16
Berlin, 19. Oktober, 14:24 Uhr
»Worauf warten Sie denn noch?«, drängte Norbert.
»Hören Sie …«, der Polizist hatte Mühe, sich zu beherrschen. »Ich kann verstehen, dass Sie aufgebracht sind, aber wenn Sie uns hier nicht in Ruhe unsere Arbeit machen lassen, dann muss ich Sie bitten, woanders zu warten.«
Norbert stieß einen undefinierbaren Laut aus.
Der Beamte klingelte erneut. »Herr Floss? Polizei. Bitte öffnen Sie.«
Jan hielt den Atem an. Durften sie die Tür aufbrechen? Wohl kaum. Außer es war Gefahr im Verzug. Aber machte er sich nicht verdächtig, wenn er die Tür nicht öffnete? Vielleicht kamen sie früher oder später auch auf die Idee, beim Hausmeister nach dem Generalschlüssel zu fragen. Und dann?
Plötzlich piepte es durchdringend. Jan zuckte zusammen. Das Geräusch kam von oben, aus der Küche. Wenn die Tür des Tiefkühlschranks zu lange offen stand, gab er einen lauten hohen Warnton von sich.
»Hören Sie das?«, fragte Norbert.
»Vielleicht ein Wecker«, meinte einer der Beamten.
»Ich sag doch, der ist da.«
Wieder die Klingel.
»Herr Floss?«
Kreidebleich wich Jan von der Tür zurück, hastete auf Zehenspitzen die Treppe hoch. In der Küche trat er beinah in sein eigenes Erbrochenes. Der säuerliche Geruch stach ihm in die Nase. Rasch schloss er die Tür des Tiefkühlschranks. Das Piepen verstummte mit einem Seufzen.
Unten ging erneut die Klingel.
Jan griff sich in die Haare, zerwühlte sie, dann stampfte er lautstark die Treppe hinunter. »Ja doch. Ich komm ja schon.«
Sein Puls galoppierte, als er die Tür öffnete. Norbert starrte ihn argwöhnisch an, blonde dünne Haare fielen ihm ins hochrote Gesicht.
»Was ist denn los?«, fragte Jan mit dem besten Mir-geht’s-elend-Blick, den er zustande bringen konnte.
Der Beamte, der direkt vor ihm stand, musterte ihn von oben bis unten. Er war ein vierschrötiger Mittvierziger, dessen hellwache Augen durch die Gläser seiner dicken Brille seltsam verkleinert wirkten. »Sind Sie Herr Floss?«
Jan nickte und musste husten.
Der Polizist verzog das Gesicht, als ihm Jans säuerlicher Atem entgegenschlug.
»Entschuldigung«, murmelte Jan. »Mir geht’s nicht gut. Ich hab mich gerade übergeben.«
»Verstehe«, sagte der Polizist. »Herr Floss, mein Name ist Schüssler, das hier ist mein Kollege Peters. Wir sind auf der Suche nach Frau Reichert, Ihrer Nachbarin. Sie ist seit gestern verschwunden, und Herr Weinrich hier«, er deutete auf Norbert, »ist der Meinung, sie sei gegen 22 : 00 Uhr in Ihre Wohnung gegangen, um Ihre Pflanzen zu gießen. Seitdem ist sie nicht mehr gesehen worden.«
Jan hob die Augenbrauen. »Ich … verstehe nicht ganz.«
»Mann, jetzt red nicht rum«, platzte es aus Norbert heraus. »Sie muss hier sein.«
»Zehn Uhr gestern Abend?« Jan kratzte sich am Kopf. »Also ehrlich, ich bin gestern erst aus Frankreich zurückgekommen. Etwa gegen halb zwölf. Und da war niemand hier.« Erst jetzt wurde ihm klar, wie knapp er den Mörder verpasst haben musste.
Für einen Moment sagte niemand etwas.
Jan sah von einem zum anderen. »Glauben Sie mir etwa nicht?«
Schüssler räusperte sich. »Also, Frau Reichert ist nicht bei Ihnen in der Wohnung, richtig?« So wie er es sagte, hörte es sich an, als hätte er langsam die Faxen dicke und wollte nichts lieber, als diese leidige Angelegenheit abschließen.
»Nein, wie schon gesagt.«
»Das ist doch Blödsinn«, echauffierte sich Norbert. »Wo soll sie denn sonst sein?«
»Herr Weinrich, bitte!«, unterbrach ihn Schüssler. »Halten Sie sich da raus.«
Gut so, dachte Jan. Norbert war auf dem besten Weg, die Beamten gegen sich aufzubringen. »Hattet ihr mal wieder Krach?«
Die Polizisten wechselten einen Blick.
Norberts Mundwinkel zuckten. »Was weißt denn du schon.«
Jan zuckte mit den Schultern. »Na ja, halt das, was sie mir erzählt hat«, log er. »Dass du regelmäßig heimlich losziehst, um zu spielen, zum Beispiel. Sie war ziemlich fertig deswegen.« Jan wusste, dass er hoch pokerte, aber er war sich ziemlich sicher, dass Norbert tatsächlich spielte. Er deutete auf Norberts linkes Handgelenk, wo eine helle Stelle zu erkennen war. »Sie meinte, dabei wäre inzwischen sogar die
Weitere Kostenlose Bücher