Der Schock: Psychothriller (German Edition)
musste Laura mit dieser Mutter erlebt haben. Ob ihr Vater genauso war? »Sie nehmen wirklich kein Blatt vor den Mund«, sagte er bitter.
»Blätter hindern am Sprechen.«
»Oder sie filtern das Gift.«
Draußen auf dem Schotterweg spürte Jan Ava Bjelys Blick wie einen Eishauch im Rücken. Wie eine schwarze Witwe in ihrem Netz, mit Siegelring, Rollstuhl und einem künstlichen Darmausgang.
Er dachte an seine eigene Mutter. Fragte sich, wo sie jetzt wohl war und ob sie überhaupt noch lebte.
Wenn jemand zu ihr käme und sie nach mir fragen würde, was würde sie wohl sagen?
Kapitel 14
Berlin, 19. Oktober, 14:01 Uhr
Regen trommelte wie rasend gegen das Fenster. Jan lag in Lauras Bett, in ihrem Kinderzimmer in der Villa, und Laura streckte ihre Hand nach ihm aus. So viel Sehnsucht.
Er war dreizehn. Aber warum sah Laura so viel älter aus? So viel erwachsener?
Als sie sein Hemd aufknöpfte, atmete er schneller. Hatte sie nicht eben noch etwas angehabt? Ihr Brustkorb pumpte, zitterte. Ihre Brüste waren voller, als er gedacht hatte.
Sie nahm seine Hand und presste seine Finger zwischen ihre Beine, schob seinen Zeige- und Mittelfinger in sich hinein. Alles war nass. Er zog die Finger zurück, sie nahm sie und saugte daran, um ihn sofort darauf zu küssen. Der Kuss schmeckte nach Nikotin und Tabak und seinen Fingern und ihr.
Der Regen drang durch die Fensterritzen, und das Zimmer lief voll wie ein sinkendes Schiff. Das Wasser leckte bereits an der Matratze.
Als er es endlich bemerkte, war es zu spät. Er wollte aufspringen, aber Laura saß auf ihm. »Hast du Angst?«, flüsterte sie.
Angst? Nackte Panik! Er starrte sie an.
Plötzlich hatte sie graue Haare, Falten und fleckige graue Haut. Auf ihm saß nicht Laura, sondern Ava Bjely.
Er spürte kaltes Wasser an seinem Rücken. Wollte sich aufbäumen, doch ihr Gewicht drückte ihn auf die Matratze. Ihre eingefallenen Brüste schwebten über ihm. Ihre Hüfte kreiste. Sein Glied verschwand zwischen ihren Schamlippen und den grau wuchernden Haaren, die dunkel und feucht auf ihrer schlaffen Haut klebten.
»Nein«, keuchte er.
Sie lachte, beugte sich über ihn, ihre Zunge drang schmatzend in sein Ohr. Das Wasser stieg unaufhörlich, lief ihm in die Augen, schwappte in seinen offenen Mund. Er rang nach Luft, seine Lungen schrien nach Sauerstoff, aber es kam nur Wasser. Ava Bjely riss ihren Mund auf, entblößte zwei Reihen spitzer scharfer Zähne, schlug sie in seinen Hals und riss einen Teil heraus.
Jan schlug die Augen auf, fuhr hoch und schnappte nach Luft.
Er war allein.
In seinem Bett.
Das Laken war schweißnass.
Die Erleichterung, zu Hause zu sein, in seiner eigenen Wohnung, ließ ihn etwas ruhiger atmen.
Er stand auf. Das Baumwollhemd, in dem er eingeschlafen war, klebte nass an seinem Rücken, er fühlte sich wackelig und ausgelaugt. Er brauchte dringend etwas zu essen. Vielleicht eine Fertigpizza, dachte er. Salami.
Er verzichtete darauf, Hose und Socken anzuziehen, die verknotet neben dem Bett lagen, und ging in die Küche.
Bei jedem Schritt verfolgte ihn Ava Bjely. Er schauderte und fragte sich, wie Lauras Vater wohl mit dieser Frau zurechtkam. Wahrscheinlich, indem er sich in seine Arbeit flüchtete und dauerabwesend war. Jan konnte ein Lied davon singen.
Er fasste nach dem Griff des Tiefkühlschranks. Mit einem Schmatzen öffnete sich die Tür. Kalte Luft drang ihm entgegen. Automatisch, ohne hinzusehen, griff er ins oberste Fach, nach den Tiefkühlpizzen. Sein Blick fiel auf das Mahlwerk der Espressomaschine. Der Bohnenbehälter war erstaunlich leer. Seine Hand tastete nach den vertrauten Pizzakartons, aber stattdessen war da etwas seltsam Geformtes, steinhart und pelzig.
Er sah in den Tiefkühlschrank.
Der Anblick ließ sein Herz stillstehen. Er keuchte, wich zurück. Seine Knie versagten den Dienst, und er sank zu Boden.
Im Tiefkühlschrank kauerte eine zierliche Frau, nackt, Arme und Beine unnatürlich eng an den Körper gepresst, mit blassblau gefrorener Haut. Eiskristalle bedeckten vereinzelt ihren Körper. Ihre Augen waren offen, die Pupillen wie Eiskugeln, stumpf und leer.
Jan erkannte sie sofort. Es war Nikki Reichert aus dem vierten Stock. Er hatte sie gebeten, die Blumen zu gießen, während er in Frankreich war. Auf ihrer Stirn stand in dunkelroten, wie mit Fingerfarbe geschmierten Buchstaben: NICHT LAURA.
Jan übergab sich auf den Fußboden. Anschließend saß er auf dem Parkett, zitternd, die Beine an die Brust gezogen.
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