Der Schock: Psychothriller (German Edition)
des Teppichbodens, und an ihr Trommelfell drang ein dumpfes Rumpeln.
Tür auf. Rollstuhl rein. Tür zu. Fahrstuhl nach unten.
Sie wünschte, sie hätte den Revolver ihres Vaters zur Hand. Wollte durch die Wand schießen, auf die Fahrstuhlkabine oder das Halteseil.
Dann verlor sie das Bewusstsein.
Kapitel 21
Berlin, 20. Oktober, 11:13 Uhr
Es krachte. Jan schrak aus dem Schlaf hoch und brauchte einen Moment, um sich zu orientieren.
Er lag in Lauras Bett, und das laute Geräusch aus dem Innenhof des Mietshauses hallte nach. Vielleicht eine Mülltonne, die umgestoßen worden war, oder eine wütend zugeworfene Haustür. Jan rieb sich die Stirn. Kopfschmerzen. Auch das noch. Er sank zurück ins Kissen, in dem noch ein Hauch von Zitrus hing. Es roch wie das Parfüm, das an Lauras Waschbecken stand. Fahrenheit von Dior, ein Klassiker – eigentlich für Männer. In ihrem Bett zu liegen und dabei ihren Geruch um sich zu haben war ein zwiespältiges Gefühl. Nichts wies deutlicher darauf hin, dass sie nicht da war.
Jan setzte sich auf und griff nach seinem Handy. Das Display zeigte 11 : 13 Uhr. Er hatte miserabel geschlafen und immer wieder in die Dunkelheit gestarrt. Erst am frühen Morgen hatte ihn die Müdigkeit endgültig überwältigt. Er gähnte, ging in die Wohnküche und öffnete den Kühlschrank, wie schon am Abend zuvor. Keine Leiche, nur Schwarzbrot, Margarine, Dosenananas und Wasser.
Während er aß, drängten sich erneut all die Fragen auf, die ihn in der Nacht umgetrieben hatten. Laura war in Gefahr. Und er selbst aller Wahrscheinlichkeit nach auch. Der Mann mit den roten Augen schreckte vor nichts zurück, auch nicht vor Mord.
Seine einzige Chance war es, Laura zu finden. Aber wo, verdammt, konnte sie sein? Er zwang sich, seinen brummenden Schädel zu ignorieren und logisch vorzugehen.
Also gut, dachte er. Möglichkeit eins: Der Mann mit den roten Augen hatte Laura in seiner Gewalt. Dann hatte er kaum eine Chance, sie zu finden. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wer dieser Typ war, geschweige denn wo er sich aufhielt.
Möglichkeit zwei: Laura wurde von dem Mann verfolgt – aus welchem Grund auch immer – und musste sich vor ihm verstecken. Und das würde sie an einem Ort tun, an dem sie sich sicher fühlte.
Die Fotos kamen ihm in den Sinn. Laura hatte doch lange auf der Straße gelebt. Gab es ein besseres Versteck als einen anonymen Schlafplatz unter einer Brücke, in einem unbewohnten Gebäude, einer Industriebrache oder einem stillgelegten U-Bahn-Schacht?
Er nahm sein Smartphone und rief die Bilder auf, die er von Lauras Flur gemacht hatte. Jedes zeigte ein Stück Wand mit dreißig bis vierzig Fotos, zumeist Nahaufnahmen. Er zoomte die einzelnen Motive heran, versuchte Details zu betrachten, scheiterte jedoch ständig an der Auflösung seiner Handykamera. Die einzelnen Bilder waren einfach zu klein, zu unscharf, zu pixelig. Immer wieder musste er Pausen machen, da ihm die Augen brannten.
Nichts. Keine Hinweise, keine Plätze, die ihm bekannt vorkamen oder zu denen Laura eine besondere Verbindung zu haben schien. Gegen zwei begann das Telefon wieder zu klingeln. Jan stellte es entnervt auf lautlos.
Kurz nach vier stand er im Flur vor den leeren Wänden.
Wo verdammt bist du hin?
Plötzlich fiel ihm das Foto in seiner Jacke ein. Er ging hinüber ins Schlafzimmer, wo seine Belstaff neben dem Futon lag, griff in die Innentasche und betrachtete den Papierabzug. Laura saß an einem Flussufer, unter irgendeiner Brücke. Im Hintergrund zeichneten sich ein unscharfes Gebäude und drei Schornsteine vor einem grauen Himmel ab. Soweit er sich erinnern konnte, hatte neben diesem Bild ein weiteres an der Wand gehangen, das Laura an demselben Platz schlafend zeigte. Und dann waren da noch das mit Edding gekritzelte Sternchen und ihr Geburtstag, der 7. August, rechts unten in der Ecke.
Jan stutzte.
Sein Herz schlug schneller. Wo würde wohl jemand, der auf der Straße lebte, an seinem Geburtstag sein wollen? An seinem Lieblingsplatz.
Er betrachtete die drei in den Himmel ragenden Schornsteine. Dann zog er sich seine Lederjacke über, steckte das Foto sowie die beiden Handys ein. Die Spree lag gerade einmal 500 Meter von Lauras Wohnung entfernt, und er brannte darauf, das Ufer abzusuchen. Vielleicht war sie ganz in der Nähe.
Draußen war es diesig. Der Himmel hatte sich in eine graue Suppe verwandelt, und die feuchte Luft kroch ihm in den Nacken. Fröstelnd zog er den Reißverschluss hoch und lief
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