Der Schock: Psychothriller (German Edition)
das ist?«
»Na ja. Bestimmt nicht an der Spree. Hört sich für mich nach dem Teltowkanal an, weil die Schornsteine, das könnte das Heizkraftwerk Lichterfelde sein.«
Jan blieb der Mund offen stehen. Kanal. Natürlich! Das schnurgerade Ufer hatte viel mehr nach Kanal als nach Fluss ausgesehen! »Wissen Sie, wie weit das von hier weg ist?«
Der Glatzkopf zuckte mit den Schultern. Seine kleinen Augen hinter der Nana-Mouskouri-Brille blinzelten. »Ist schon ein ganzes Stück. Vielleicht zehn Kilometer oder so.«
Jan glühte förmlich vor Erregung. Er zog die Beine zurück ins Taxi und zog die Tür wieder zu. »Fahren Sie mich doch bitte dahin.«
»Und Ihr Zug?«
»Nicht so wichtig.«
Der Glatzkopf hob die haarlosen Brauen, stellte das Taxameter auf null und fädelte den Mercedes in den regen Verkehr längs des Bahnhofs ein.
Kapitel 22
Berlin, 20. Oktober, 17:13 Uhr
Jan sah dem Taxi nach, das sich auf der Königsberger Straße in den Verkehr einreihte und auf der Brücke über den Teltowkanal fuhr. Kaum hundert Meter vor der Brücke war eine Tankstelle. Geschickt gewählt, dachte er. Ein Schlafplatz mit Mini-Supermarkt um die Ecke, der zudem auch noch rund um die Uhr geöffnet hat.
Die Brücke war ein seelenloser Zweckbau. Zwei Fahrstreifen in jede Richtung, Bogenlampen links und rechts, Fahrradweg, Bürgersteig, und alles in einer leichten Rechtskurve. Emil-Schulz-Brücke stand in geschmiedeten Buchstaben am graublauen Geländer. Erst von der Brücke aus war der Teltowkanal zu sehen. Die Wasseroberfläche wirkte wie flüssiges Blei, in ein schnurgerades Bett gegossen. Nebel kroch herauf zwischen den von Büschen und Bäumen bewachsenen Ufern. In gar nicht allzu großer Entfernung zeichnete sich die Silhouette der drei Schornsteine des Heizkraftwerks Lichterfelde ab, das direkt am Kanalufer lag.
Jan überquerte die Brücke, schaute von der anderen Seite über den Kanal und verglich den Blick mit dem Foto aus Lauras Wohnung. Die Perspektive stimmte, doch das Foto war direkt vom Ufer aus aufgenommen worden.
Ein mannshohes Baustellengitter am Ende des Geländers versperrte den Weg zum Wasser. Ein Schild verbot Unbefugten den Zutritt.
Er hob eins der Zaunelemente aus dem Betonsockel, schlängelte sich zwischen den Metallstangen hindurch und drückte sich längs der Brücke entlang. Ein Trampelpfad führte durch dichtes Gebüsch zum Kanal. Vorsichtig stieg er die steile Böschung hinab, dabei griff er nach jedem Halt, der sich ihm bot. Auf halbem Weg brach ein Zweig, er fiel und rutschte im Sitzen einige Meter abwärts.
Jan rappelte sich auf und rieb sich das Steißbein. Der Brückenkopf endete hier, und der Pfad führte durch dichtes Buschwerk unter die Brücke. Er bog das Astwerk beiseite und spähte um die Ecke.
Der Platz unterhalb der Brücke war größtenteils betoniert und leicht abschüssig. Auf der anderen Seite des Brückenkopfes, vor einem dichten Gebüsch, lagen eine Matte, ein Schlafsack – oder waren es Decken? – , mehrere Plastiktüten und einiges andere Zeug.
Sein Herz schlug schneller. War das Lauras Schlafplatz?
Jan zögerte. Über ihm, auf der vierspurigen Brücke, rauschte der Verkehr. Das Kanalwasser floss lautlos Richtung Südwesten, am Kraftwerk vorbei. Es war vollkommen windstill, und der Nebel schien hier unten, direkt am Wasser, noch etwas dichter zu sein.
Er sah nach oben, von wo er gekommen war, und dann wieder zum verlassenen Schlafplatz.
Langsam trat er hinter der Mauer hervor und ging unter der Brücke hindurch. Unter seinen Sohlen knirschten kleine Steinchen. Ansonsten war der Boden überraschend sauber, kaum alte Blätter, keine Äste, kein Müll.
Ein lautes Klingeln ließ ihn zusammenschrecken. Hastig zog er Lauras Handy es aus der Jackentasche.
»Hallo?«, flüsterte er.
»Du wolltest mich doch anrufen«, beschwerte sich Katy im besten Große-Schwester-Ton.
»Katy!« Jan stöhnte und blieb mitten unter der Brücke stehen. Sein Blick ruhte auf dem Schlaflager und dem Buschwerk dahinter. »Verdammt. Kannst du nicht mal –« Jan verstummte. Hatte sich da nicht gerade etwas bewegt?
»Jan? Hallo?«
Er ließ das Handy sinken.
»Ja–an!«, quäkte Katys Stimme aus dem Telefon.
Er drückte sie weg, schaltete das Handy aus, ohne das Gebüsch aus den Augen zu lassen.
»Laura?«
Keine Antwort. Mit langsamen Schritten näherte er sich dem Schlafplatz.
»Hallo? Bist du da?«
Kein Geräusch, keine Bewegung. Nur die Autos über ihm und der still fließende Kanal.
Er
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