Der Schock: Psychothriller (German Edition)
Unter Laura tat sich der Boden auf. Buck war der Bruder ihrer Mutter? Sie hatte nicht einmal gewusst, dass ihre Mutter überhaupt einen Bruder hatte. Deswegen das Geld, die Immobilien. Die beiden hatten geerbt.
In aller Seelenruhe benetzte Buck ein Tuch mit dem Inhalt der braunen Flasche. Es roch süßlich.
Laura wich zurück, doch es war zwecklos. Mit einem Lächeln drückte Buck ihr den mit Chloroform getränkten Lappen vor Mund und Nase. Unmittelbar bevor sie das Bewusstsein verlor, donnerte eine Welle von Panik vor ihre Brust und nahm ihr den Atem. Ihre Zukunft flackerte wie eine verlöschende Flamme vor ihren Augen.
An einem fremden Ort aufwachen.
Ausgeliefert sein.
Sterben.
Kapitel 33
Berlin, 21. Oktober, 17:18 Uhr
Jan blinzelte. Die Sonne stand tief und strahlte ins Wageninnere. Katy kniff die Augen zusammen und klappte die Sonnenblende herunter. Sie saß am Steuer, und ihr Blick war stur geradeaus gerichtet, auf die A24. Bis Berlin waren es noch gut 100 Kilometer, und der V8-Diesel des Cherokee brummte gleichförmig bei 140 Stundenkilometern.
»Meinst du, Nolte ist unser Psychopath?«, fragte Katy.
Jan musterte Noltes Gesicht auf der Fotokopie. Auch von Benno Fröhlich hatte er ein Foto mitgenommen, dazu seine frühere Adresse. Seine Eltern hatten in der Nähe von München gelebt. Zusätzlich hatte er noch Name und Telefonnummer von Dr. Breitners ehemaliger Studienkollegin notiert, bei der Nolte in Behandlung gewesen war. »Ich weiß nicht«, sagte Jan. »Von der Gesichtsform her, und wenn man sich die Haare wegdenkt, vielleicht.«
»Es würde jedenfalls einiges erklären«, meinte Katy und warf einen Blick in den Rückspiegel.
»Stimmt. Vielleicht hat er tatsächlich Laura nachts im Wald aufgelauert. Laura könnte sich gewehrt haben, und kurz darauf findet Benno Fröhlich Nolte und hält ihn für tot. Er rennt in die Schule, alarmiert Breitner, und alle machen sich gemeinsam auf die Suche. Aber Nolte ist gar nicht tot. Trotzdem kann er nicht zurück. Er muss Angst haben, dass Laura geredet hat, also nimmt er die Beine in die Hand und verschwindet auf Nimmerwiedersehen.«
»Und Jahre später«, fuhr Katy fort, »findet er Laura und entführt sie. Aber warum erst nach so langer Zeit?«
»Weil sie abgetaucht war. Laura ist kurz nach dieser Nacht ausgerissen, dann zurück nach Berlin und hat da, laut Gandalf, auf der Straße gelebt. Selbst wenn er sie gesucht hat, dürfte er sie nicht gefunden haben.«
»Meinst du, es war Zufall, dass er ihr wieder begegnet ist?« Wieder sah Katy in den Rückspiegel.
»Ein bisschen viel Zufall, oder?«
»Hm«, machte Katy. »Vor allem, warum entführt er sie erst und lässt sie dann frei?«
»Wir wissen ja nicht, ob er Laura freigelassen hat. Vielleicht war auch alles ganz anders. Gandalf meinte, Laura konnte sich daran nicht erinnern.«
»Verstehe«, murmelte Katy. »Und was ist mit deiner Theorie vom Albino?«
»Albinismus«, sagte Jan.
»Bitte?«
»Man sagt Albinismus.«
Katy stöhnte. »Mein Bruder wird von einem mordenden Psychopathen verfolgt, aber möchte ihm gegenüber unter allen Umständen politisch korrekt bleiben. Ihr Psychologen habt echt ’ne Meise.« Abermals glitt ihr Blick hinauf zum Rückspiegel, dann wieder nach vorne.
Jan quittierte ihre Bemerkung mit einem Achselzucken. »Wenn Nolte an Albinismus gelitten hat, dann hätte Breitner eigentlich irgendetwas auffallen müssen.«
»Außer Nolte hat sich wirklich permanent geschminkt, quasi zu jeder Tages- und Nachtzeit.«
Jan betrachtete nachdenklich die Schwarzweißkopie. Nolte sah ernst in die Kamera. Seine Haut war glattrasiert, sein Teint ebenmäßig. Dennoch ließ sich nicht erkennen, ob er geschminkt war oder nicht. »Zum Muster unseres Psychopathen würde es jedenfalls passen«, murmelte er, und dann lauter: »Der Mann, den wir suchen, stellt kategorische Besitzansprüche an andere, beziehungsweise an Laura. Er hat ein exzessives Dominanz- und Kontrollstreben. Dass er dabei sexuell übergriffig ist, liegt auf der Hand. Er denkt, was mir gehört, darf ich auch benutzen.«
»Das passt zu dem, was vermutlich im Wald mit Laura passiert ist«, meinte Katy.
Jan nickte.
»Aber warum meintest du eben, dass das Schminken zu ihm passen würde?«
»Na ja. Eigentlich ist es das gleiche starre Kontrollmuster, das er auf andere anwendet – nur auf sich selbst bezogen. Er hat vermutlich eine ganz konkrete Idealvorstellung, wie alles zu sein hat. Die anderen – und er selbst. Und das zieht
Weitere Kostenlose Bücher