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Der Schoepfer

Der Schoepfer

Titel: Der Schoepfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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wobei er erst besorgt und dann ängstlich aussah.
    Als er zusah, wie Mr Lyss Angst bekam, begann sich auch Nummy zu fürchten. Der alte Mann erweckte den Anschein, als hätte er sich seit dem Tag seiner Geburt vor nichts mehr gefürchtet. Und wenn er sich jetzt fürchtete, dann mussten die Dinge noch schlimmer stehen, als Nummy geglaubt hatte, und er hatte sie sich ziemlich übel ausgemalt.
    Nachdem er lange Zeit umhergelaufen war, drehte sich Mr Lyss plötzlich zu Nummy um und sagte: »Geh von der Toilette runter.«
    Nummy wollte schon sagen, nur Polizisten und Mr Leland Reese hätten das Recht, ihm Vorschriften zu machen, doch der Anblick der gefletschten grauen Zähne des alten Mannes bewirkte, dass er es sich anders überlegte. Er stand auf und blieb neben den Pritschen stehen.
    Mr Lyss zog den Reißverschluss seines Overalls bis zur Taille runter und zog den Overall dann über seine knochigen weißen Hüften.
    Schockiert kehrte Nummy dem alten Mann den Rücken und eilte zur Zellentür. Sein Gesicht glühte vor Scham, und er befürchtete, er könnte vor Verlegenheit in Tränen ausbrechen.
    Er hörte Mr Lyss grunzen, dann ein platschendes Geräusch. Er betete, er möge jetzt jeden Moment das Geräusch der Klospülung hören, denn das hieße, dass es vorbei war.
    Stattdessen stand Mr Lyss plötzlich neben ihm an der Tür, war wieder angezogen und hielt ein gelbes Rohr von vielleicht fünf Zoll Länge in der Hand. »Geh mir aus dem Weg, Einstein.«
    »Ich heiße Nummy.«
    »Du heißt so, wie ich dich gerade nennen will«, knurrte Mr Lyss, und Nummy ging ihm aus dem Weg.
    Das gelbe Rohr war aus weichem Plastik, das sich zwischen den Fingern der linken Hand des alten Mannes eindellte, als er mit der rechten Hand behutsam die Kappe abschraubte.
    »Wo kommt das denn her?«, fragte Nummy verwundert.
    »Aus meinem Arsch«, sagte Mr Lyss.
    Nummy sagte angewidert: »Und wie ist es da reingekommen?«
    »Da habe ich es reingesteckt.«
    Nummy keuchte. »Warum das denn?«
    »In den Käffern verzichten viele Bullen noch auf eine Untersuchung der Körperöffnungen.«
    »Körperöffnungen?«
    »Das, was hohl ist. Mein Hintern zum Beispiel. In deinem Fall ist es dein Schädel.«
    Aus dem offenen Plastikrohr schüttelte Mr Lyss sechs winzige Stahlstäbe, jeder an der Spitze anders geformt.
    »Wofür sind die da?«, fragte Nummy.
    »Zum Schlösserknacken. Ich habe sie so klein wie möglich gemacht.«
    »Wann haben Sie die gemacht?«
    »Als sie in meinem Arsch gesteckt haben. Was ändert es schon, wann ich die gemacht habe? Hier geht irgendetwas Außerirdisches vor, und ich bleibe ganz bestimmt nicht hier, um die Marsmenschen kennenzulernen.«
    »Was soll das heißen?«, fragte Nummy.
    »Das heißt, mach mir Platz und halt den Mund.«
    »So was habe ich mal in einem Film gesehen«, sagte Nummy. »Sie wollen aus dem Gefängnis ausbrechen, genau das haben Sie vor.«
    Am hinteren Ende des Korridors ging die Tür zur Treppe auf.
    Mr Lyss wandte dem Korridor seinen Rücken zu. Mit zitternden Händen steckte er sein Werkzeug zum Schlösserknacken in das gelbe Rohr und schraubte es zu.
    Der alte Mann hielt Nummy das Plastikrohr hin und flüsterte: »Dieser Overall hat keine Taschen. Versteck es in deiner Jeans.«
    »Auf gar keinen Fall. Nicht, seit ich weiß, wo es vorher war.«
    Mr Lyss packte ihn, zog ihn eng an sich und stopfte das Rohr in eine Tasche seiner Bluejeans.
    »Sie wollen aus dem Gefängnis ausbrechen«, flüsterte Nummy.
    Als sich Schritte näherten, setzte Mr Lyss eine so grimmige Miene auf wie die menschenfressenden Zombies in den Filmen, die Nummy nicht sehen mochte. »Wenn du das Rohr erwähnst, beiße ich dir die Augen aus dem Kopf.«
    Er drehte sich zur Zellentür um.
    Im nächsten Moment erschien ein junger Mann mit einem hübschen Gesicht. Er blieb vor ihrer Zelle stehen und lächelte sie an. Sein Lächeln war sehr freundlich.
    Nummy mochte den jungen Mann auf Anhieb. Er mochte ihn viel mehr als Mr Lyss. Der junge Mann hatte keine grauen Zähne, sondern weiße. Er schien sehr gepflegt zu sein und stank bestimmt nicht so wie Mr Lyss. Und er sah auch nicht so aus wie jemand, der sich Sachen in den Arsch schiebt.
    Da Großmama ihm beigebracht hatte, immer das Richtige zu tun, und da es niemals richtig sein konnte, jemandem zu helfen, der aus einem Gefängnis ausbrechen wollte, hätte Nummy dem jungen Mann beinah das Werkzeug zum Schlösserknacken ausgehändigt. Er zögerte nur, weil ihm nichts anderes übrig bleiben

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