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Der Schoepfer

Der Schoepfer

Titel: Der Schoepfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrún Eva Mínervudóttir
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auf Wiederhören, mein Lieber«, sagte Lóa mit patziger Betonung des letzten Wortes. Sie konnte es nicht ausstehen, von Fremden als meine Liebe bezeichnet zu werden.
    Nachdem sie das Foto abgeschickt hatte, schaltete sie den Wasserkocher ein, holte die Thermoskanne, den Trichter und eine Filtertüte, und während sie darauf wartete, dass das Wasser kochte, dachte sie darüber nach, ob sie Sveinn bitten sollte, mit dem Computer und dem Handy zur Polizeiwache zu fahren. Sie hatte das Gefühl, er werde entweder eiskalt ablehnen oder ihre Bitte gewissenhaft ausführen.
    Andererseits war er als präsentable Vertretung für sie kaum geeignet – so unrasiert und fertig, wie er aussah. Außerdem
konnte man nicht wissen, ob er nicht plötzlich auf die Idee käme, sie gleich mitanzuzeigen, wenn er schon mal vor Ort war.
    Nein, es war besser, auf Björg zu warten oder die Sachen mit dem Taxi zu schicken.
    Lóa löffelte Kaffee in den Filter, schüttete bis zum Rand kochendes Wasser hinein, sah zu, wie sich der weiche Schaum ausbreitete, atmete den Duft ein und lauschte, wie die ersten Tropfen auf den Boden der Thermoskanne fielen.
    Für einen Moment beruhigten sich Lóas Nerven, lange genug, um in diesem Moment aufzugehen und mit ihrer Umgebung zu verschmelzen, während sie unbewusst auf die dunkle Oberfläche starrte, die langsam im Trichter nach unten sank.
    Als es an der Haustür klingelte, erschrak sie so sehr, dass sie herumfuhr und dabei mit der Hand gegen die Kanne schlug, die scheppernd auf den Boden knallte, sodass sich das Kaffeepulver und der Kaffee in der ganzen Küche verteilten. Lóa rannte los, mit Kaffeeflecken auf den Socken und Hosenbeinen, die Treppe hinunter, wo sie die Tür aufriss und einen blonden jungen Mann erblickte, der ihr bekannt vorkam, aber sie wusste nicht, woher. Falls sie ihn überhaupt je gesehen hatte. Er sah so normal aus, dass sie ihn leicht mit jemandem verwechseln konnte.
    Die Möglichkeiten jagten in Lichtgeschwindigkeit durch ihren Kopf. War das Nexusboy? Ein Polizeibeamter in Zivil? Ein Freund oder Bekannter von Margrét mit einer Nachricht von ihr?
    »Ólöf?«, sagte der Junge, mit dünner, kindlicher Stimme, und als er sich bewegte, knisterte seine schwarze Lederjacke im Pilotenschnitt.
    Sie nickte.
    »Ist Sveinn hier? Ich hab was für ihn.«
    Ihre Lungen fühlten sich an wie ein zerplatzter Ballon. »Komm
rein«, sagte sie – unfähig, ihre Enttäuschung zu verbergen –, und er folgte ihr die Treppe hinauf.
    »Hier ist jemand für dich!«, rief sie.
    Sveinn kam ihr mit großen Augen entgegen und war erstaunt, als er sah, wer gekommen war.
    »Lárus?«
    »Sie haben mich doch gebeten, Ihnen ein vernünftiges Schmerzmittel zu besorgen, und ich hatte eh nichts Besseres zu tun«, sagte der Junge so ergeben, dass es an Unterwürfigkeit grenzte, obwohl er erfolglos versuchte, lässig zu wirken.
    Lóa gruselte die Vorstellung, dass Sveinn für junge Leute ein Held und ein so großes Vorbild war, dass sie ihn kaum ansprechen konnten, ohne nervös zu werden. Fanden sie es so toll, dass er ein Marionettenmeister der Frauenkörper war? Dass er seine eigenen Mösen anfertigte? War er für sie eine Art Pornokönig?
    Lóa war in diesen Dingen nie besonders empfindlich gewesen, aber jetzt sah sie plötzlich rot. Ihre gesamte Wut auf die Welt verwandelte sich in heftigen Ekel vor diesen beiden Männern, die sich in ihrem Wohnzimmer gegenüberstanden. Für sie waren die beiden auf einmal fast nicht mehr menschlich.
    Sie lehnte sich an die Kommode, und die Wut brodelte in ihr.
    »Ich hab das doch nicht wortwörtlich gemeint«, hörte sie Sveinn sagen. »Ich weiß sehr wohl, dass das Zeug rezeptpflichtig ist. Wie hast du es denn gekriegt?«
    »Das war kein Problem. Ich bin einfach in die Notaufnahme gegangen und hab gesagt, ich hätte unerträgliche Zahnschmerzen, könnte aber erst nächste Woche zum Zahnarzt«, antwortete der Junge. »Das entspricht vielleicht nicht ganz der Wahrheit, aber der Zweck heiligt doch die Mittel, oder? Oder nicht? Oder was?« Er wirkte immer verzweifelter, je mehr sich Sveinns Gesicht verdunkelte.

    »Klar«, sagte Sveinn. »Nett von dir, dass du an mich gedacht hast, aber es fällt mir ziemlich schwer zu verstehen, warum ein junger Mann wie du nichts Besseres zu tun hat, als sich an meine Fersen zu heften.«
    Sie schauten schnell zu Lóa, beide gleichzeitig, als hätten sie denselben Gedanken. Neugier glitzerte in den Augen des Jungen wie ein Heringsschwarm, und auf

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