Der Schoepfer
einmal wusste sie, was seine eigentliche Absicht war: Was hatte er anderes hier zu suchen, als sie auszuspionieren? Die Frau auszuspionieren, die wie eine stinknormale Kleinbürgerin aussah, sich aber als trunksüchtige Diebin entpuppte? Sveinns Freunde und Bekannte amüsierten sich bestimmt königlich über seine Abenteuer in der Großstadt. Einige konnten es offenbar gar nicht erwarten, bis er mit seiner Puppe und seinem Reisebericht zurück nach Akranes kam.
»Willst du dich nicht setzen?«, fragte Lóa in vollkommenem Widerspruch zu ihren Gedanken und zeigte Richtung Esszimmer. Oh, wie sehr sie diese innere Autorität verachtete, die ihr vorschrieb, einen guten Eindruck zu machen , was auch immer geschah.
Sveinn warf ihr einen bösen Blick zu, aber sie tat so, als hätte sie es nicht gesehen.
»Tja, nee, ich sollte mich beeilen…«, sagte der Junge und wollte sich sichtlich umstimmen lassen.
Lóa nickte.
»Obwohl, eine Tasse Kaffee würde ich vielleicht annehmen, wenn es nicht zu viele Umstände macht«, fügte er hinzu und schaute Sveinn ängstlich an.
Das Lachen, das zu Lóas eigenem Entsetzen aus ihr herausbrach, war ihr vollkommen fremd. Sie wies die beiden an, ihr in die Küche zu folgen, wo sie mit den Händen gestikulierte,
als wolle sie den Kaffeesatz und die Flecken auf dem Fußboden segnen oder dieses ungewohnte Chaos vertreiben, das sich so plötzlich ihrer Gedanken und ihres Verhaltens bemächtigt hatte.
»Wie ihr seht, habe ich gerade Kaffee gekocht«, sagte sie, und ihre Stimme klang ebenso fremd wie ihr Lachen.
Sveinn machte ein Gesicht, als wüsste er nicht, was von ihm erwartet wurde, während der Junge höflich lächelte und dann das Foto von Margrét anstarrte.
»Setzt euch ins Esszimmer«, sagte Lóa. »Ich mache einen Nescafé, wenn ich den Boden abgewischt und Wasser gekocht habe.«
Sie wusste nicht, warum sie versuchte, normal zu erscheinen, wenn alle Anwesenden wussten, dass ihre Situation alles andere als normal war.
»Woher kennt ihr euch?«, fragte sie, als sie das Tablett mit drei Kaffeebechern, einem Milchkännchen und einem Korb mit Zimtschnecken abgestellt hatte.
»Wir haben uns bei einem Geburtstag kennengelernt«, sagte Sveinn mit finsterer Miene.
Lóa schaute den Jungen fragend an, aber er schien nicht den Mut zu haben, dieser kurzen Erklärung noch etwas hinzuzufügen.
»Wohnen Sie schon lange hier?«, fragte er und schaute sich mit gespieltem Interesse um.
Sie nickte und presste die Lippen zusammen. Vom Geschmack des Kaffees bekam sie sofort Magenschmerzen.
»Super Idee, ich meine, den Dachboden so zu öffnen, damit die Dachschräge voll zur Geltung kommt«, sagte der Junge. »Ich hab meinem Onkel mal bei so was geholfen. Wir mussten
morsche Holzlatten rausreißen, neue einsetzen und das ganze Dach neu isolieren. Sie sind ja noch nicht ganz fertig damit, sagen Sie doch einfach Bescheid, wenn Sie Hilfe brauchen.«
Er schien das ernst zu meinen und fühlte sich offenbar verpflichtet oder sehnte sich nach Gesellschaft.
»Da sagst du was.« Lóa stand auf, immer noch mit einem Stechen im Bauch wie von einer kalten Messerschneide. Sie ging in die Küche, kippte ihren Kaffee in die Spüle, nahm einen großen, braunen Umschlag aus dem Schrank, steckte Margréts Handy hinein, holte den Computer aus ihrem Zimmer und legte beides vor dem Jungen auf den Tisch.
»Wie heißt du noch mal?«, fragte sie.
»Lárus.«
»Lárus, kannst du das für mich zur Polizeiwache am Hlemmur bringen?«, fragte sie. »Der Dienststellenleiter heißt Tómas und wartet darauf. Du musst es ihm persönlich geben. Traust du dir das zu?«
Der Junge verkrampfte sich, berührte den Umschlag mit dem Handy und schaute zögernd zu Sveinn, der zweimal zustimmend nickte.
Lárus trank den heißen Kaffee in einem Zug aus und stand mit gerötetem Gesicht auf. Sein Blick wanderte in jede Ecke, so als wolle er den Raum und die Dinge darin auswendig lernen, und blieb dann auf der Puppe auf dem Sofa haften.
Sveinn lachte laut auf und biss in eine Zimtschnecke. »Schau sie dir ruhig an«, sagte er. »Du musst dich nicht beeilen. Die Polizei stellt nicht gleich die ganze Stadt auf den Kopf wegen einer Jugendlichen, die seit vierundzwanzig Stunden verschwunden ist.«
Lóa wusste, dass das vollkommen richtig war, aber ihr widerspenstiger Geist schien davon überzeugt zu sein, dass Sveinn
verantwortlich war, in geradezu metaphysischem Sinne. Er hatte kein Recht, so leichtfertig über Margrét zu reden.
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