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Der Schoepfer

Der Schoepfer

Titel: Der Schoepfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrún Eva Mínervudóttir
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Topfpflanzen um sich herum und fand, dass sein Leben noch trostloser und armseliger war, als es sich seine Mutter jemals vorstellen konnte.
    »Ja, ich musste ihr kurz … helfen«, sagte er.
    »Das ist gut, Svenni«, entgegnete sie mit schwindendem Interesse. Vielleicht war sie gar nicht so erpicht darauf, dass er heiratete.

    »Ich melde mich am Wochenende noch mal bei dir«, sagte er.
    »Alles klar, mein Schatz.«
    Sveinn wandte sich wieder der Patience zu und schaffte es, ein paar Trawler anzulegen, als das Telefon erneut klingelte.
    Das Display zeigte eine unbekannte Nummer.
    »Ja«, antwortete er mit einer bangen Ahnung.
    Eine sanfte Frauenstimme nannte seinen Namen: »Sveinn Gudmundsson?«
    »Ja?«
    »Ich heiße Ásdís und rufe von der Zeitschrift Haus und Heim an…«
    »Verschwenden Sie keine Energie daran, mir etwas zu verkaufen. «
    »Ich will Ihnen nichts verkaufen …«
    »Nein?«
    »… was Sie nicht haben wollen.«
    Sveinn bewunderte ihre Entschlossenheit, legte aber trotzdem auf. Selbst schuld, wenn ihr Job daraus bestand, fremde Leute zu belästigen.
    Die Patience ging nicht auf. Sveinn hatte damit gerechnet, dass von drei Runden ungefähr eine aufging. Wobei es kaum eine dämlichere Beschäftigung gab als diese. Patiencen legen war die geistige Endstation.
    Er schob die Karten zusammen und schaute zu, wie der Wind wütend an den Zweigen der Bäume riss und die zerfledderten Laubreste vom vergangenen Jahr aufs Meer flohen.
    Der Stapel mit den Wissenschaftsmagazinen lag noch am selben Platz, und er nahm ein paar davon mit ins Schlafzimmer. Knüllte die Bettdecke am Kopfende zusammen und lehnte sich dagegen, vorsichtig, um das Wespennest in seiner Schulter nicht aufzuscheuchen, schluckte zwei Tramol und schlug wahllos
irgendeine Zeitschrift auf. Die Überschrift des Leitartikels lautete Die Kraft der Spiegel , und bevor er einschlief, erfuhr er, dass die Japaner begonnen hatten, die Wände an Bahnhofsgleisen mit Spiegeln auszukleiden, um damit die Zahl der Selbstmörder zu reduzieren. Der Theorie nach fiel es den Menschen schwerer, sich umzubringen, wenn sie mit der sensiblen Macht ihrer eigenen Körper konfrontiert wurden. Sie wollten ihr Leben nicht mehr beenden, wenn sie sich selbst in die Augen schauten.
     
    Sveinn wachte völlig ausgehungert auf, mit einem unruhigen Pochen im Kopf, das vom Knie ausging, und heftigem Ärger im Bauch. Die Dämmerung brach herein, also musste es etwa zehn Uhr abends sein.
    Er hätte alles dafür gegeben, jetzt zu Hause zu sein, traute sich die Fahrt aber nicht zu. Sollte er noch ein paar Tramol nehmen und bis zum Morgen weiterschlummern? Nein, er hatte die Packung im Flur liegen lassen, und außerdem würde er die Tabletten gar nicht erst bei sich behalten, wenn er vorher nichts aß.
    Als er aufstand, beschwerte sich sein Kreuz lautstark. Großartig. War eigentlich noch irgendein Körperteil heil?
    Sveinn schleppte sich aus dem Zimmer, die unverletzte Hand in den Rücken gestützt, und das Erste, was er sah, war, wie Lóa sein Handy weglegte. Sie war barfuß, trug ein knielanges Wollkleid mit bis zu den Fingerknöcheln reichenden Ärmeln, ihre Haare waren klatschnass, und sie machte ein entsetztes Gesicht, das heulende Dämonen in Sveinn weckte. Dieser Anblick, dieses Ereignis, dieser Augenblick erinnerte ihn an etwas, an das er sich nicht erinnern wollte. Wobei er sich nur an die Atmosphäre erinnerte – wie bei einem Horrorfilm, der nur ein einziges
Gefühl im Gedächtnis hinterlässt, das einem die Seele zerreißt, und eine einzige Szene, die sich nicht einordnen lässt.
    Eine schroffe Stimme bahnte sich ihren Weg aus seinem Bauch nach oben: »Was machst du da?«
    Warum hatte sie solche Angst? Sah er etwa gefährlich aus? Oder machte sich ihr schlechtes Gewissen bemerkbar?
    »Dein Handy hat ein paar Mal geklingelt, und irgendwann bin ich rangegangen«, sagte sie mit zitternder Stimme.
    »Irgendwann bist du rangegangen«, wiederholte er mit übertriebener Betonung und merkte sofort, dass er so klang, als hätte er ein schmutziges Geheimnis. Er, der nichts zu verbergen hatte als höchstens seine dunkelsten Gedanken, und die offenbarten sich bestimmt nicht durchs Telefon.
    »Entschuldige«, sagte er, »aber du verstehst doch, dass es mir nicht so leicht fällt, dir zu vertrauen, oder?«
    »Ich weiß nicht«, entgegnete sie, und da sah er endlich etwas in ihr aufblitzen, von dem er die ganze Zeit gewusst hatte, dass es da war: Verwirrtheit, Hysterie. Sie sah aus,

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