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Der Schoepfer

Der Schoepfer

Titel: Der Schoepfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrún Eva Mínervudóttir
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ist eigentlich das Einzige, was sie tut. Und sie geht spazieren, wenn jemand Lust hat, sie zu begleiten, entfernt sich aber nie weit vom Haus.«
    Lóa stand auf und setzte sich wieder. »Was hat sie denn ganz allein in der großen weiten Welt gemacht? Ist sie aus dem Heim weggelaufen?«
    Die Heimleiterin schüttelte den Kopf. »Nach sechzehn oder siebzehn Jahren bei uns war sie selbstständiger als die meisten anderen, und wir waren froh, als ihr Onkel angeboten hat, sie zu sich zu nehmen. Keiner weiß, warum er sich nicht schon früher bei uns gemeldet hat. Aber er befand sich viel im Ausland und wollte natürlich, so wie alle, nichts mit den beiden zu tun haben. Ein paar Mitarbeiter haben geglaubt, er brauchte vielleicht nur eine billige Haushälterin, und diese Stimmen verstummten erst, als er starb und ihr seine Wohnung vererbte. Jetzt besitzt sie also eine schuldenfreie Wohnung in Reykjavík, die leer steht, seit sie wieder hergezogen ist. Sie hat niemanden, der ihr dabei helfen kann, sie zu vermieten. Sie hat auch niemanden, der ihre Finanzen regelt, und ich habe keine Vollmacht dafür.«
    »Wo liegt die Wohnung?«, fragte Lóa.

    »In der Ránargata. Ich habe versucht, sie dazu zu bringen, ein Testament aufzusetzen. Es wäre wesentlich besser, wenn sie selbst über ihr Eigentum bestimmt, sonst fällt die Wohnung der Stadt zu, wenn es soweit ist. Aber das interessiert sie nicht. Sie glaubt nicht an den Tod und kümmert sich nicht um Geld oder Besitztümer.«
    Ein Lächeln zog sich über ihre roten Lippen, als sie hinzufügte: »Aber sie mag Hochzeiten, besonders wenn es sich um reiche und berühmte Leute handelt, sie besitzt eine große Sammlung von Klatschzeitschriften mit Hochzeitsfotos. Anka, eine unserer Mitarbeiterinnen, war so nett, ihr einen großen, polnischen Hochzeitskatalog mit weißen Rüschenkleidern mitzubringen. Ihre Lieblingsbücher sind Liebesgeschichten mit Happy End, besonders Arztromane, und sie schaut sich gerne Muscheln und Quallen am Langasandur an. Wenn Sie ihr eine Freude machen wollen, kaufen Sie ihr das neuste Heft aus einer Groschenserie oder laden Sie sie zu einem Strandspaziergang ein.«
    Lóa räusperte sich, strich sich das Haar aus der Stirn, stand auf und setzte sich wieder. Tränen liefen ihr über die Wangen, und als sie das Wort ergriff, war ihre Stimme brüchig.
    »Ich wusste noch nicht mal, dass sie nur ein paar Schritte von uns entfernt gewohnt hat … Dann hätte ich vielleicht ab und zu bei ihr vorbeigeschaut oder sie eingeladen, mit uns zu Abend zu essen. Wenn ich das gewusst hätte …«
    »Ach, das ist doch…«, setzte Sveinn an, aber Lóa fiel ihm ins Wort: »Nein, das verstehst du nicht, ich habe sie noch nicht mal gemocht. Ich war oft abweisend zu ihr. Es ist zu spät, sich jetzt den Kopf darüber zu zerbrechen, aber ich kann einfach nicht …«
    Sie verstummte und schaute aus dem Fenster hinter der
Heimleiterin. Auf das Gras, die Häuser, den Himmel und die bläulichen Berge.
    »Es ist nie zu spät, meine Liebe«, sagte die Heimleiterin, und ihre warme, herzliche Art berührte Sveinn wie der Duft von frisch gebackenem Weihnachtskuchen. »Marta hat nicht viele Freunde, und auch wenn sie nicht redselig ist, freut sie sich über Besuch. Oder über kleine Geschenke. Bücher, Süßigkeiten, Ziergegenstände. Ich kenne niemanden, der sich über so wenig freuen kann wie Marta. Sie strahlt tagelang, wenn ihr jemand was geschenkt hat.«

XX
Donnerstag
    Als Lóa vor Sveinns Haus parkte, war er schon ausgestiegen und stand ratlos auf der Beifahrerseite vor der offenen Wagentür. Sie ging zu ihm und sah, dass er den Sicherheitsgurt von der Puppe gelöst hatte. Nach dieser Kraftanstrengung schien er aufgegeben zu haben. Er stand wie angewurzelt da, mit plötzlich erschlafftem Gesicht und hängenden Schultern, hielt die Hand um die Armschlinge und tat so, als sehe er Lóa nicht, obwohl sie direkt neben ihm stand.
    »Soll ich dir helfen?«
    »Warum nicht«, antwortete er endlich, als sei er noch gar nicht auf die Idee gekommen, dass er sich selbst bemitleiden könnte.
    »Wie hast du es eigentlich geschafft, dich so zu verletzen?«, fragte sie.
    Er schürzte nur die Lippen – schnaubte wie ein Packpferd kurz vor dem Zusammenbruch – und trat zur Seite, damit sie an die Puppe kam.
    Die Brüste der Puppe wippten schwer und steif auf Lóas Armen, als sie sie in eine Art Heimlich-Griff nahm und aus dem Wagen zog. Sie wollte sie weiter Richtung Haus schleppen, aber Sveinn hielt

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