Der Schoepfer
da sei.
»Lóa«, sagte Lóa, und als keine Reaktion kam, fügte sie lauter hinzu: »Ólöf, die Mutter von Margrét und Ína.«
Daraufhin öffnete sich die Tür, und Sveinn konnte seine Verwunderung kaum verbergen, denn die Person, die vor ihnen stand, sah nicht aus wie die gutmütige alte Dame, die er sich vorgestellt hatte, als Lóa ihm von ihrer alten Kinderfrau erzählt hatte, sie ähnelte eher einem runzeligen Kind. Ziemlich klein, mit winzigen Händen und einem Buckel, lächelte sie mit freudloser Unterwürfigkeit zu ihnen hoch.
»Dürfen wir reinkommen?«, fragte Lóa.
»Ja«, antwortete die Frau mit fast fragendem Tonfall und setzte sich in einen Sessel mit aufgestickten Rosen. Ihr Buckel hinderte sie daran, gerade zu sitzen, und sie erinnerte Sveinn an eine Schildkröte, wie sie dahockte und sie mit zusammengekniffenen Augen, hängendem Kopf, die Arme dicht am Körper, anschaute.
Langsam griff sie mit der Hand in ihre Schürze, umkrallte etwas und hielt es dann hinter ihren Rücken.
»Geht es dir gut hier?«, fragte Lóa sanft, und als Sveinn zu ihr blickte, sah er, dass sie ihre eigenen Sorgen einen Moment beiseite geschoben hatte und versuchte, sich bei dieser merkwürdigen Person einzuschmeicheln.
»Ja«, antwortete die Frau, schnitt eine Grimasse, als fechte sie einen inneren Kampf aus, und fügte dann hinzu: »Wollt ihr meine Uhr sehen?«
Sie zeigte sie ihnen zögernd, als rechne sie damit, dass sie ihr das Ding aus der Hand reißen würden: eine bandlose, zerkratzte Männeruhr, die ihre winzige Handfläche fast ausfüllte.
»Was für eine hübsche Uhr. Woher hast du die?«, fragte Lóa und trat näher heran, aber die Alte umkrallte die Uhr sofort wieder und versteckte sie hinter ihrem Rücken.
Lóa konnte ihre Enttäuschung nicht verbergen, hatte aber offenbar noch nicht alle Hoffnung aufgegeben und bat ihn, draußen zu warten.
Sveinn hatte noch nicht lange in dem dämmerigen Flur gestanden, als ein schlitzäugiges Mädchen mit einem Krankenhauswagen vorbeikam. Darauf lagen verschiedene Dinge, die er nicht kannte, aber auch eine vertraute weiße Schachtel mit blauem Deckel.
Das Mädchen hielt mitten im Flur an, ließ den Wagen stehen und drehte sich um; vielleicht hatte sie etwas vergessen.
Sveinn sah nach rechts und links, lauschte auf Schritte und trat dann zu dem Wagen und musterte die Aufschrift auf der Schachtel. Tramol mit einem feuerroten Dreieck. Was für ein Schweineglück! Er kippte die Hälfte davon in seine Jackentasche. Sie hatten bestimmt genug von dem Zeug hier. Nach Anweisung der Ärzte sollte er das Medikament schon längst abgesetzt haben, aber die Schmerzen ließen nicht nach, und Sveinn hatte nicht vor, mehr als nötig zu leiden.
Lóa kam aus dem Zimmer und zog vorsichtig die Tür hinter sich zu. Sie war blass. Sogar ihre Lippen waren blass. Sveinn konnte sich nicht erinnern, schon einmal jemanden gesehen zu haben, der vor Anspannung blass wurde. Er hatte davon gehört und darüber gelesen, es aber noch nie mit eigenen Augen gesehen.
»Du kannst nach Hause fahren, wenn du willst, aber ich muss mit jemandem reden, der hier was zu sagen hat.«
Sveinn schüttelte den Kopf. Er konnte nicht fahren.
»Entschuldigung, könnten wir mit dem Heimleiter sprechen? «, sagte er zu dem schlitzäugigen Mädchen, das zurückgekommen war und mit konzentriertem Blick den Wagen vor sich herschob.
Sie schaute ihn an, brauchte einen Moment, um seine Worte zu verstehen, und zeigte dann auf eine Tür am Ende des Flurs. In gebrochenem Isländisch sagte sie: »Heimleiterin da drin.«
Lóa schien jegliche Höflichkeit vergessen zu haben, klopfte nur kurz an, öffnete dann die Tür, ohne hereingebeten worden zu sein, setzte sich auf den erstbesten Stuhl, legte ihre Hand auf die Stirn und starrte ins Leere. Sveinn stand nervös neben ihr und schaute einer Frau um die sechzig in die Augen, die konzentriert telefonierte. Sie trug eine Seidenbluse, einen grauen Bubikopf und hatte rotgeschminkte Lippen.
»Nein, das geht nicht«, sagte sie. »Nein, morgen. Ja. Sagen Sie mir morgen Bescheid.«
Sie legte auf, bot Sveinn einen Platz an und sagte: »Was kann ich für Sie tun?«
»Ich bin hier, um Marta Jónasdóttir zu besuchen«, sagte Lóa.
»Die wohnt in Zimmer Nummer zweihundertneunzehn.«
»Ich habe sie schon getroffen«, entgegnete Lóa und sah aus, als friere sie, obwohl es ziemlich warm im Raum war. »Ich möchte nur wissen, wie es dazu kam, dass sie hier gelandet ist. Wann sie sich
Weitere Kostenlose Bücher