Der Schoepfer
einzelne Nerv in ihrem Körper dagegen sträubte.
»Viele Grüße von Ína«, sagte sie. Das war nur eine indirekte Lüge. Ína hätte bestimmt mitgewollt, wenn sie gewusst hätte, wo es hinging.
Marta kratzte sich eifrig in der Armbeuge.
»Du erinnerst dich doch an sie, oder? Und an Margrét? Erinnerst du dich nicht an die beiden? Ína fragt immer, ob du uns bald mal besuchen kommst.«
»Sind sie schon verheiratet, die beiden Hübschen?«, fragte Marta.
»Nein«, sagte Lóa, »nein, aber Margrét ist verschwunden, und ich glaube, sie will nicht, dass man sie findet. Weißt du, wo sie sein könnte?«
Marta befingerte die Uhr in der Tasche ihres Kleides, baumelte mit den Beinen und schlug mit leisem Knallen ihre Schuhe zusammen.
»Weißt du, wo sie sich verstecken könnte?«
»Sollte sie nicht einfach einen guten Arzt heiraten?«, entgegnete Marta und schaute Lóa flehend an.
Lóa schüttelte den Kopf und verzog das Gesicht, damit ihr nicht die Tränen kamen.
»Danke für deinen Besuch, und komm doch morgen noch mal wieder. Komm unbedingt morgen wieder, meine liebe Kleine«, sagte Marta und tätschelte kraftlos Lóas Handrücken. Der Schauer, der über Lóas Rücken kroch, verschwand auf Anhieb, als sie spürte, dass Martas Hand nicht kühl und schlaff war, wie sie sich vorgestellt hatte, sondern warm und fest.
XIX
Donnerstag
»Wir fahren hintereinander her«, sagte Sveinn. »Du hast keinen Ersatzreifen und solltest in diesem Zustand nicht alleine durch die Gegend fahren.«
Er war sich sicher, dass sie ein Lahmer führt einen Blinden oder etwas Ähnliches dachte. In ihren Augen musste er lächerlich wirken. Sein Arm war gebrochen, er humpelte, war paranoid und cholerisch, hatte fast die ganze Zeit wie ein Säugling geschlafen und war dennoch entschlossen, sich unentbehrlich zu machen.
Aber sie lachte nicht, sondern schaute ihn nur gramgebeugt an. Ausgelaugt und verschrumpelt wie eine Mutterkartoffel schüttelte sie ihre Haare aus dem Gesicht und sagte: »Soll ich dir helfen, die Puppe runterzutragen?«
Als er durch den Hvalfjördur-Tunnel hinter ihr herfuhr, löste sich die Wirklichkeit auf, als würde sie in einem Stück abgeschält oder als würde ein Schleier von ihr genommen. Er wusste nicht, was es war, aber auf einmal verstand er nicht mehr, was sie dort zu erledigen hatten oder was irgendein lebendiges Wesen grundsätzlich irgendwo in Zeit und Raum zu erledigen hatte.
Sein erster Gedanke, nachdem er am Morgen auf dem Sofa die Augen aufgeschlagen hatte, war, dass Lóa ihn auf keinen Fall am Abend zuvor von einer Geheimnummer aus angerufen und sich eine Sekunde später schlafend gestellt haben konnte. Er schämte sich so sehr, dass er sie noch nicht mal im Geiste ansprechen konnte, geschweige denn laut. Sein ganzes Verhalten war darauf ausgerichtet gewesen, dass Lóa diejenige war, die ihn verfolgte, und obwohl er sich nicht mehr genau erinnern konnte, was er gestern Abend zu ihr gesagt hatte, wusste er noch genau, dass er seine gesamte Wut auf die Stalkerin, auf die Gesellschaft, die sie geprägt hatte, und die Welt im Allgemeinen an ihr ausgelassen hatte.
Lóa fuhr geradewegs an seinem Haus vorbei in den Ortskern und hielt vor dem Altenheim.
Zwei Tramol. Ein klebriger Schluck schale Limonade, die er unter Tüten und Jacken begraben auf dem Rücksitz fand, und da stand Lóa ziemlich wackelig im Sturm und wartete vor dem Haupteingang auf ihn, als würde sie sich alleine nicht hineintrauen.
Sie hielten sich ziemlich lange im Foyer auf, ohne jemanden zu sehen oder etwas anderes zu hören als entfernte Stimmen und Geklapper. Sveinn schob vorsichtig die nächstliegende Tür auf und spähte in eine lange, blitzsaubere Küche. Es war niemand da, aber das Geräusch des Wassers in der großen Spülmaschine wirkte heimelig und beruhigend.
Er drehte sich wieder zu Lóa und wollte gerade fragen, ob er einen Angestellten suchen sollte, da marschierte sie schon durch den Flur. Von hinten sah sie so entmutigt und niedergeschlagen aus, dass sie ihm furchtbar leidtat.
Jetzt stand sie in einer Türöffnung und redete mit jemandem,
winkte Sveinn dann heran, und sie stiegen zu dritt – er, Lóa und eine blonde junge Frau in einem hellblauen Schwesternkittel – die Treppe hinauf in einen anderen Flur und blieben vor einer geschlossenen Tür stehen. Die Frau im blauen Kittel klopfte, ging dann weg und war schon um die Ecke verschwunden, als eine dünne Stimme auf der anderen Seite der Tür fragte, wer
Weitere Kostenlose Bücher