Der schottische Verfuehrer
Erinnerung an Duncans Besuch in der Nacht und an seine unerwartete Zärtlichkeit zurück. Seine Hände hatten ihm kaum gehorchen wollen, als er ihr Gesicht umfasste. Schmerzhaft erinnerte sie sich, wie ihm mit einem Schock bewusst geworden war, wozu er sich hatte hinreißen lassen, und er sich dann losriss und sie alleine zurückließ.
Seine Berührungen und noch mehr seine Küsse waren für sie wie aus heiterem Himmel gekommen. Er hatte sie wieder begehrt, so unbändig wie einst in der Jugend, und das lodernde Verlangen in seinen Augen hatte den Gefühlen ihres Herzens entsprochen.
Selbst jetzt noch, da der Himmel, an dem sich Schnee ankündigte, langsam hell wurde, sehnte sich ihr Leib nach Duncan, sehnte sich nach der Berührung seiner Lippen und der Kraft, mit der er sich an sie drängte - und wenn es auch nur für einen Augenblick war.
Es war ihr Glück gewesen, dass er letzte Nacht fortgegangen war. Anschließend, als sie alleine war, wurde ihr bewusst, wie
kurz davor sie gewesen war, sich ihm hinzugeben. Hätte er sich mit ihr aufs Bett sinken lassen und sie ausgezogen, um schließlich in sie einzudringen, dann hätte sie jeden einzelnen Moment genossen, da war sie sich sicher.
Doch dann hätte Duncan entdeckt, dass sie noch Jungfrau war.
Bei diesem ernüchternden Gedanken rieb sie sich die Schläfen. Er durfte nicht die Wahrheit erfahren, da mochte Gott davor sein, denn dann würde er viel zu viele Fragen stellen. Zudem konnte sie Frasyers Schwur nicht vergessen, er werde Duncan töten, wenn sie ihm je die tatsächliche Lage erzählen würde. Und Isabel hegte keinen Zweifel daran, welche List Frasyer dabei walten lassen würde.
Noch immer begehrte sie Duncan, mehr als das, sie liebte ihn von ganzem Herzen - und darum durfte sie das Risiko nicht eingehen. Auch wenn Frasyers Leute überall nach ihr und einem unbekannten Mann suchten, war es offensichtlich, dass Frasyer Duncan verdächtigte, denn sonst würden sich gewiss keine seiner Ritter in der Nähe von Seathans Burg aufhalten. Ob sie wollte oder nicht, sie musste von hier verschwinden, ehe Frasyer seinen Verdacht bestätigt fand.
Und jetzt schien es ihr noch dringender aufzubrechen, hatte sie vergangene Nacht doch Duncans Berührungen nicht standgehalten, obwohl sie entschlossen gewesen war, ihm nicht zu nahe zu kommen. Zumindest hatte sie ihm nicht versprochen, auf Lochshire Castle zu bleiben.
An der Tür ertönte ein sanftes Klopfen. Unsicher, wer es sein mochte, wandte sie sich dem Eingang zu. „Tretet ein.“
Die Tür öffnete sich, und Nichola kam herein. Der warme Ausdruck, der gestern Abend auf ihrem Gesicht gelegen hatte, war vorsichtiger Zurückhaltung gewichen.
Eine Vorahnung stieg in Isabel auf. Sie rutschte zur Bettkante und erhob sich. „Ist etwas mit Duncan?“ Die Angst gab ihrer Stimme einen harten Klang, aber das kümmerte sie nicht. Sie würde es sich nie vergeben, wenn ihm wegen ihr irgendetwas zustoßen sollte.
„Duncan geht es gut.“ Nichola räusperte sich. Ganz offensichtlich fühlte sie sich unwohl wegen ihrer Aufgabe, worin auch immer diese bestand. „Seathan hat mich gebeten, Euch nach unten in seinen Ratssaal zu begleiten. Er wartet dort mit seinen Brüdern auf Euch. “
Isabels Furcht ließ sie erstarren. „Geht es um meinen Vater?“ „Wir haben keine Neuigkeiten über ihn erhalten.“
Isabel sank erleichtert zusammen, um gleich darauf skeptisch zu fragen: „Warum will man mich dann sehen?“
Nicholas Miene verfinsterte sich besorgt. „Ich weiß es nicht. Und falls ich es wüsste, stünde es mir nicht zu, es Euch zu sagen, so fürchte ich. Niemals würde ich Alexanders Vertrauen verletzen.“
„Selbstverständlich nicht. Und ich würde Euch auch nicht darum bitten.“ Was aber war so wichtig, Seathan dazu zu veranlassen, sie schon beim ersten Morgenlicht zu sich zu bestellen? Tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf, einer abenteuerlicher als der andere.
„Als ich die Brüder erstmals alle zusammen erlebte“, sagte Nichola und schreckte Isabel aus ihren fieberhaften Gedanken hoch, „da hatte ich Angst vor ihnen. Ich war damals allerdings auch eine Gefangene.“
Duncans Erzählung fiel Isabel wieder ein, und sie klammerte sich an diesen klaren Gedanken. „Ihr wart Alexanders Geisel, oder?“
„Ja.“ Warm stieg Nichola das Blut in die Wangen. Sie griff nach der Kette an ihrem Hals und ließ sie durch die Hand gleiten, dabei kam unter ihrem Gewand ein Azurit zum Vorschein. „Aber dann blieb
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