Der schottische Verfuehrer
Wahrheit über Lord Monceaux zu erzählen, doch er konnte es nicht. Er durfte nicht, durfte ihr nicht verraten, dass Lord Monceaux - oder Griffin, wie man ihn in der Familie nannte - König Edward zwar in allen schottischen Belangen beriet, aber gleichzeitig ein schottischer Spion war. Nur wenige Vertraute wussten davon.
Duncan hatte zusammen mit seinen Brüdern und Griffin erst vor zwei Tagen den Anführer der Rebellen, Wallace, getroffen. Nicht nur hatten sie dort beraten, welche Strategie sie als Nächstes gegen die Engländer einschlagen sollten; sie hatten auch über die Anklage gegen Lord Caelin gesprochen. Griffin hatte geschworen, er werde alles ihm Mögliche unternehmen, um das Leben von Lord Caelin zu retten. Daher vermutete Duncan, er halte sich absichtlich nicht auf Rothfield Castle auf. Seine Abwesenheit verschaffte ihnen die Zeit, die sie so dringend brauchten. Allerdings durfte er darüber kein Wort gegenüber Isabel verlieren, obwohl er sie nur zu gern beruhigt hätte. Aber da sie immer wieder geschworen hatte, zu Frasyer zurückzukehren, konnte er dieses Risiko nicht eingehen. Außerdem erfuhr sie noch früh genug, dass es ihrem Vater gut ging.
Sie hörten Frasyer im Schlafgemach umhergehen. Duncan leuchtete mit der Kerze in den Geheimgang und sagte: „Wir brechen auf.“
Schweigend folgten sie der sich herabwindenden Treppe nach unten. Bissige Kälte machte die schlechte Luft in dem Tunnel noch unerträglicher. Sie kamen in dem schwachen Licht der Kerze nur langsam voran. Nach einer ganzen Weile drehte Isabel sich zu Duncan um. Auf ihrem Gesicht schien sich Erleichterung auszubreiten. „Schau, dort vorne.“
Er trat neben sie und sah, wie in der Ferne das Mittagslicht hell durch den verborgenen Ausgang schien und den dunklen Gang erleuchtete.
Sie hatten es geschafft.
Duncan löschte die Kerze und ging voran. Hinter ihm hallten die Wände von Isabels Schritten wider. Sie waren schon fast am Ausgang angekommen, als ihn das Schnauben der Pferde anhalten ließ.
„Bleib hier.“ Vorsichtig an die Wand gepresst, ging er weiter. Gegen die blendende Nachmittagssonne hielt er schützend die Hände über die Augen und kontrollierte sorgfältig die ganze Gegend vor ihnen.
„Ist dort draußen jemand?“, fragte Isabel leise.
„Nein. Aber das sagt noch lange nichts darüber, ob Frasyers Ritter unsere Pferde entdeckt haben. Ich werde nachschauen, ob ich Fußspuren oder einen anderen Hinweis entdecke, dass sich jemand in der Nähe befindet.“ Er reichte ihr die Kerze und zeigte auf einen finsteren Winkel. „Bis ich zurückkomme, bleibst du dort im Dunkeln. Wenn du mich schreien hörst, dann lauf schnell weg und versteck dich. Schlag dich nach Lochshire Castle durch, sofern du es schaffst.“
Mit unsicherer Stimme wollte sie etwas sagen: „Duncan, ich ...“
„Hab keine Angst um mich.“ Er gab ihr die Bibel. „Nimm! Falls ich nicht zurückkomme.“
Isabel griff nach seiner Hand. „Du wirst zurückkommen.“
Zwischen ihnen herrschte eine erwartungsvolle Stille. Gern hätte er ihr versichert, ihm werde schon nichts passieren, aber in Sicherheit waren sie erst, wenn sie wohlbehalten bei Griffin eintrafen.
Als hätte sie seine Gedanken erraten, seufzte sie. „Gott behüte dich.“
Er durfte keine Zeit mehr verschwenden. Aber da draußen vielleicht der Tod auf ihn wartete, musste er ihre Lippen noch einmal spüren.
Sanft zog er sie an sich, langsam, denn er wollte sie genau anschauen, während er sich zunächst nur vorstellte, wie ihre weichen Lippen seine berührten, wie das Gefühl ihrer sich vereinigenden Münder ihn wohlig überwältigte. Als Isabel vorfreudig aufstöhnte, konnte er sich nicht länger zurückhalten und bedeckte sanft ihre Lippen mit seinen. Sie schmiegte sich an ihn, und er spürte, wie sie in seinen Armen bebte, während er sie immer heftiger küsste. Er wollte mehr.
Er wollte alles.
Doch das Schicksal hielt sie beide in seinem undurchdringlichen Netz gefangen.
Duncan löste sich bedauernd von Isabel. Ihre Lippen wirkten verletzlich, in ihren Augen mischten sich Verlangen und Furcht. Er drängte sie fort. „Geh.“
Sie blieb einen Moment lang stehen, den Mund geöffnet, als wollte sie noch etwas sagen.
„Was hast du?“
Sie schüttelte den Kopf. „Nichts.“ Sie verschwand im Schatten.
Duncan drehte sich um und schlich zum Ausgang, während er horchte, ob irgendwo der Schnee unter Stiefeltritten knirschte oder ein Zweig knackte. Er achtete auf jedes Geräusch,
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