Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)
ermordet, wir sind seine Blutstropfen, die Welt ist das Grab worin es fault.[ 69 ]
Wer die Möglichkeit des Jenseitigen verneint, der vermag immerhin anzunehmen, daß die Qual ein Ende haben wird. Wer jedoch an ein Jenseits glaubt und zugleich Erlösung ausschließt, wer zu wissen meint, daß es nach dem Tod weitergehen, aber nicht besser werden wird, wer also die Qual in die Unendlichkeit projiziert, erst der lebt in der schlechtesten aller denkbaren Welten. Ich wüßte nicht, wie eine solche Tristesse sich noch steigern ließe. «Wir sind in dieser Grube, diesem Gefängnis noch ratloser als Ihr», sagt in den «Vogelgesprächen» ein verstorbener Meister zu seinem Novizen im Traum.[ 70 ] Das eben ist, zusammengefaßt, die Aussage von Hamlets berühmtem Monolog: nicht allein, daß Nichtsein dem Sein entschieden vorzuziehen («a consumation devoutly to be wish’d»), sondern auch, daß die Alternative in Wahrheit überhaupt nicht gegeben ist. Der Tod verheißt für Hamlet keineswegs Vernichtung. «Aber wer würde im Leben, wie es ist, ausharren, wenn der Tod nicht minder schrecklich wäre», hat Schopenhauer Hamlets Erkenntnis aufgegriffen.[ 71 ] Christlich ins Extrem getrieben findet sie sich in Jean Pauls (gest. 1825) Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei, in der er sich ausmalt, daß nicht einmal der Erlöser erlöst würde: «Wenn der Jammervolle sich mit wundem Rücken in die Erde legt, um einem schönen Morgen voll Wahrheit, voll Tugend und Freude entgegenzuschlummern: so erwacht er im stürmischen Chaos, in der ewigen Mitternacht – und es kommt kein Morgen und keine heilende Hand und kein unendlicher Vater!»[ 72 ] Es ist merkwürdig, daß auch Attar die Gräßlichkeit des Sterbens an der Person Jesu veranschaulicht, der – sogar er, trotz seiner Vollkommenheit – bei dem Gedanken an den Tod Blut geschwitzt habe vor Angst (4/10, 94).
Die meisten Geschichten darüber, daß nicht einmal der Tod uns vom Sein erlöse, schlimmer: die eigentlichen Qualen im Jenseits noch bevorstünden, hat Attar in den Epilog gelegt, also unmittelbar an das lichte Ende der Rahmenhandlung angeschlossen. Das Aufgehen in sich selbst, das dort zwar nicht beschrieben, aber doch angekündigt wurde, wirkt so nicht mehr wie eine Vereinigung, sondern wie die reine Vernichtung, als Implosion des Seins in sich selbst, die wünschenswert, jedoch nicht einmal für Propheten und Heilige realistisch ist, geschweige denn für gewöhnliche Sterbliche wie Attar.
Fozeyl, vortrefflichster Gelehrter und Tränenregner,
Sprach: Die Propheten beneid’ ich nicht,
Steht ihnen doch das Grab bevor und die Auferstehung
Und ein Pfad schmal wie des Messers Schneide.
Und auch die Engel vermag ich nicht zu beneiden,
Ahnen sie doch nichts von Liebe und ihrer Verwicklung.
Nur jene beneide ich in alle Ewigkeit,
Die nie geboren werden in diese Welt.
Könnt’ ich zurück bloß in des Vaters Rücken,
Und wäre nie gelandet in der Mutter Bauch.
Weh, hätt’ meine Mutter mich bloß nie geboren,
Dann blieb meiner ungläub’gen Seele erspart der Tod.
(E/11, 373)
Auch bei anderen Sufis geht die Sehnsucht nach Auflösung in Gott über in die buddhistische Sehnsucht nach dem Nichts, aber bei keinem anderen ist dieser Übergang so deutlich die Folge eines Leidensdrucks, einer unmittelbaren existentiellen Not. Das Denken Attars nähert sich hier ein weiteres Mal der Leidensphilosophie Schopenhauers, der Erlösung nur buddhistisch als Selbsterlösung im Nirvana denken kann. Das exakt ist aber auch die Stelle, an der bei beiden ein paradoxer Optimismus aufflackert: Wo Attar gerade den Schmerz zum «Heilmittel» (12/7, 157) auserkoren hat, weil nur dieser den Antrieb liefere, den Schmerz so zu überwinden, wie es das vierzigste Kapitel erträumt – «Lebendig bin ich durch diesen Schmerz» (0/1) –, so sieht Schopenhauer den Sinn des Lebens gerade darin, daß es «uns verleidet werden soll». Schwerlich zu begreifen sei es, wie man sich hat «überreden lassen, das Leben sei da, um dankbar genossen zu werden, und der Mensch, um glücklich zu seyn», wundert er sich, und das klingt an dieser Stelle nicht einmal spöttisch.
Stellt doch vielmehr jene fortwährende Täuschung und Enttäuschung, wie auch die durchgängige Beschaffenheit des Lebens, sich dar als darauf
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